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Zornig. Nie nahm Desmond Tutu ein Blatt vor den Mund. Auch auf einer Pressekonferenz in dieser Woche nicht. Foto: Nic Bothma/dpa

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Politik: Er kann nicht anders

Der Dalai Lama sollte heute zu seinem 80. Geburtstag die Festrede halten. Der ANC verhinderte dies – und erfährt die geballte Wut des Desmond Tutu

Dass der kleine Mann mit dem ansteckenden Lachen viel Temperament hat, weiß in Südafrika jeder. Doch dass sich Desmond Tutu nach allem, was er erlebt hat, noch einmal derart empören kann, wo er offiziell doch längst im selbst verordneten Ruhestand lebt, ist bemerkenswert – und ein Glück für Südafrika. Seine Leidenschaft für Demokratie und Gerechtigkeit hat der Friedensnobelpreisträger jedenfalls nicht verloren. Gerade deshalb ist er nun auch so wütend darüber, dass ausgerechnet der von ihm jahrelang protegierte Afrikanische Nationalkongress (ANC), Südafrikas frühere Widerstandsbewegung und heutige Regierung, dem Dalai Lama die Einreise nach Südafrika verwehrt hat. Der sollte eigentlich an diesem Freitag zu Tutus 80. Geburtstag die Festrede halten.

Wochenlang hatte Südafrikas Regierung den Visumantrag des spirituellen Führers der Tibeter, der ebenfalls Friedensnobelpreisträger ist, zuvor ignoriert. So lange bis dieser am Dienstag seinen Besuch absagte, um „allen Betroffenen weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen“. Dass der ANC nun behauptet, er habe das Visum gar nicht abgelehnt und hätte es in allerletzter Minute noch erteilen wollen, empört Tutu noch mehr. Zumal dem Dalai Lama schon vor zwei Jahren die Einreise verwehrt worden war – ausgerechnet von jenem Land, das sich unter Nelson Mandela die Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben und geschworen hatte, stets auf Seiten der Armen und Unterdrückten zu kämpfen. Für das von China besetzte Tibet scheint das ebenso wenig zu gelten wie für die Menschen in Libyen, Kuba oder Simbabwe. Die Diktatoren dort sind alle enge Freunde des ANC „Wir werden für die Ablösung dieser Regierung beten, genau wie wir einst für das Ende der Apartheidregierung beteten“, schäumt Tutu. „Denn diese Regierung ist schlimmer als das Apartheidregime, schon weil man von dem solche Dinge erwarten durfte.“ Nie hat man Tutu in den vergangenen Jahren derart aufgebracht erlebt. Immer wieder erhebt er auf der Pressekonferenz zum Dalai-Lama-Fiasko den Zeigefinger und seine Stimme, etwa als er in den Saal ruft: „Hey, Mister Zuma, Sie und ihre Regierung vertreten mich nicht. Sie vertreten allein sich und ihre eigenen Interessen.“ Später erzählt der frühere Erzbischof von Kapstadt, wie „angewidert“ er gewesen sei, als er Zumas Regierungsansprache im Parlament verfolgt habe und „dieser Präsident“, wie Tutu ihn tituliert, mit keinem einzigen Wort den Kampf der religiösen Führer gegen die Apartheid erwähnt habe. „Der ANC scheint zu glauben, er allein habe uns die Freiheit gebracht. Und alle anderen seien im Befreiungskampf nur Statisten gewesen.“

Tutus Abrechnung mit den Erben Mandelas und deren Machtgier, Arroganz und Eigensucht ist das i-Tüpfelchen auf einem beispiellosen Public-Relations-Desaster für Südafrika – und den ANC. 17 Jahre nach der Machtübernahme hat die frühere Widerstandsbewegung bei ihrem einstigen Chefanwalt den letzten Kredit verspielt – und sich nach dessen Einschätzung als eine hochautoritäre Bewegung entlarvt, der nicht das Wohl der jungen Demokratie, sondern allein der Machterhalt am Herzen liegt.

Seit Mandelas Rückzug ins Private ist Tutu zum moralischen Gewissen der „Regenbogennation“ geworden, wie er das „neue Südafrika“ einst beschrieb. Jeder Staatsgast möchte heute seine Einschätzung der Lage zu hören. Denn eine seiner Stärken ist, bei allen Mahnungen auch die positiven Seiten zu sehen. Als Tutu vor 14 Jahren erfuhr, dass er an Prostatakrebs litt, ließ er sich äußerlich nicht aus der Fassung bringen „Es hätte viel schlimmer kommen können“, scherzte er. „Ich hätte mein Gedächtnis verlieren können.“ Dass Tutu nahtlos von Mandela übernahm und zum Schutzpatron der jungen Demokratie am Kap wurde, ist keine Überraschung. Er hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sein christliches Selbstverständnis und der Wunsch um Aussöhnung alle Parteiloyalitäten übersteigen.

In der erzkonservativen Bergbaustadt Klerksdorp, südwestlich von Johannesburg, geboren, arbeitete Tutu zuerst als Lehrer. 1961 wurde er Priester und stieg in der Kirchenhierarchie rasch auf. Weltweit bekannt wurde Tutu in den frühen 80er Jahren mit der Ernennung zum ersten schwarzen Bischof von Johannesburg. 1986 wurde er zum Erzbischof von Kapstadt gewählt. Wegen seiner Verdienste um den Befreiungskampf erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis. Damals hatte Tutu, der zugibt, die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit zu lieben, den Part des Politikers nur widerstrebend gespielt. Doch als das Apartheidregime 1985 quasi die gesamte Opposition verbot, sah er sich als Stellvertreter für alle jene, die damals keine Stimme hatten. Anders als viele seiner damaligen Mitstreiter hat er sich aber auch im „befreiten“ Südafrika nie gescheut, seine alten Verbündeten in der Anti-Apartheidbewegung und den ANC zu kritisieren, zumal wenn diese ihre Ideale eklatant für einen dicken Scheck aus China oder Libyen verrieten.

Noch ist seine Wut über die Ohrfeige des ANC für den Dalai Lama nicht verraucht. Auch wenn er, wie er mit seinem berühmten Kichern sagte, vor einem Wutausbruch öfter mal bis zehn zählen wolle. Wird er trotz Ruhestand nun doch bis zum letzten Atemzug seine Meinung kundtun? „Wir sagen immer, der Mensch habe einen freien Willen. Doch das stimmt so nicht ganz“, sagt er nachdenklich. „Es ist, wie Martin Luther einst sagte: Hier stehe ich und kann nicht anders.“

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