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Geht es nach Papst Franziskus, ist der Weg der Öffnung unumkehrbar.

© Gregorio Borgia/AP/dpa

Die Reformation der Katholischen Kirche: Es ist, als zöge die Aufklärung ein

Die Katholische Kirche ist nach Skandalen und Affären auf einem neuen Weg. Es ist ein Abschied vom dogmatischen Denken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Im Jahr nach dem großen Reformationsjubiläum, stolze 500 Jahre, kann man den Eindruck gewinnen: Mehr Reformation war nie – bei den Katholiken. Welcher Protestant hätte sich das träumen lassen?

Zur Erinnerung: Reformation ist das Wort für die kirchliche Erneuerungsbewegung, die zur Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen führte, katholisch, lutherisch, reformiert. Nun ist nicht von einer neuen Spaltung die Rede, wohl aber von einer Erneuerung und Wiederherstellung. Genau das sagt das lateinische „Reformatio“.

Bleiben wir an diesem Tag, zu diesem Anlass noch einen Augenblick bei den Katholiken. Deren Kirche ist, angeführt von Papst Franziskus, nach Skandalen und Affären um Sexualmoral und Missbrauch inzwischen zur Erneuerung auf einem „synodalen Weg“. Das klingt – evangelisch. Und ist es in Teilen auch. Denn Mitsprache von unten nach oben wird gerade organisiert; von oben, aber nicht nur, wie sich an der jüngsten „Amazonas-Synode“ gezeigt hat.

Es ist, als zöge in die katholische Kirche im Jahr 501 die Aufklärung ein. Abschied vom dogmatischen Denken allerorten. Ein richtungweisendes Beispiel? Wo Priester fehlen, wird der Zölibat verzichtbar und verheiratete Männer dürfen geweiht werden; wo vor allem Frauen den Glauben weitertragen, wird ihnen ein Diakoninnenamt ermöglicht. Der Tag liegt nicht in aller Ewigkeit, dass der Zölibat nur noch freiwillig ist oder dass eine Frau Päpstin wird. Und dieses Zeichen kommt aus Südamerika!

Weg der Öffnung

Kein Wunder, dass Konservative in aller Welt unruhig werden. Aber sie sind in der Minderheit, inzwischen, weil ihre Anführer in den wichtigsten Gremien diskreditiert sind. Dazu kommt: Kein neuer Johannes Paul II. ist in Sicht, kein Benedikt XVI., der mit theologischer Schärfe diese Entwicklung aufhalten kann. Geht es nach Franziskus, ist der Weg der Öffnung für die Wirklichkeit unumkehrbar. Auch hierzulande, wo sogar Reinhard Marx und Franz-Josef Overbeck nahezu konvertiert sind.

Und die evangelische Kirche? Ist herausgefordert, nicht staunend stehen zu bleiben. Ihr Luther, ihr Zwingli, ihr Calvin verändern gerade noch einmal die Welt. Wer glaubt schon noch, dass man sich einen Sündenablass erkaufen kann, ob vom Papst oder sonst wem?

Weil das so ist, weil so viele, die in demokratischen Gesellschaften aufgewachsen sind, ihr Leben nicht entlang alter (vatikanischer) Lehren leben, ist es umso mehr die Frage an die aufgeklärten Protestanten, wie sie sich vorstellen, dass die gegenwärtige Welt zu einem besseren Ort wird.

Da ist eine Wiedervereinigung möglich: im Geiste. Je deutlicher Irrelevantes zur Seite tritt – der Zölibat beispielsweise stammt aus dem 11. Jahrhundert –, desto eher fällt auf, was Protestanten und Katholiken teilen: Inhalte des Neuen Testaments können, auf die Neuzeit übertragen, tatsächlich dazu anleiten, die Welt ein bisschen voranzubringen.

Nicht durch Aktivismus in der Seenotrettung, sondern durch den gemeinsamen Versuch, der Spaltung der modernen Gesellschaft mit entschiedenen Dialogangeboten auf allen Ebenen entgegenzutreten.

Die Kirchen stehen, wie die Gesellschaft, am Wendepunkt. Das wissen und sagen sie selbst. Jetzt noch mehr Reformation wagen? Die Frage von heute, deren Antwort über das Morgen entscheidet. „Ja“ wäre ein Traum.

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