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Politik: Flucht vor den Flüchtlingen

GENF . Aus Angst vor Racheakten der heimkehrenden ethnischen Albaner ergreifen Tausende von Serben die Flucht aus dem Kosovo.

GENF . Aus Angst vor Racheakten der heimkehrenden ethnischen Albaner ergreifen Tausende von Serben die Flucht aus dem Kosovo. Nach Schätzungen von Hilfswerken in Genf haben in den vergangenen Tagen rund 4000 serbische Zivilisten bei Verwandten, Freunden oder Gastfamilien in Montenegro Unterschlupf gefunden, rund 10 000 Personen haben sich in Richtung Belgrad und Nis abgesetzt. Genaue Zahlen liegen dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und dem Roten Kreuz jedoch nicht vor, weil die Regierung in Belgrad nach wie vor eine äußerst restriktive Informationspolitik betreibe. Allerdings könne es sein, daß bis zu 30 000 Serben auf der Flucht aus dem Kosovo seien. Konkrete Meldungen von Übergriffen gegen Serben waren noch nicht bekannt.

Ein Sprecher des UNHCR teilte mit, die Hauptaufgabe seiner Organisation liege jetzt darin, den rund 500 000 Kosovaren, die innerhalb ihrer Heimatprovinz umherirren, zu helfen. Das Hilfswerk wäre erst am Sonntag in das Kosovo zurückgekehrt und hätte keine Zeit und personellen Kapazitäten, zwischen Serben und Kosovaren zu vermitteln. Seit dem Ende der Feindseligkeiten seien erst wenige der Flüchtlinge aus den Lagern Albaniens und Mazedoniens in ihre Heimat zurückgekehrt. "Die genaue Anzahl wissen wir nicht", erklärte der Sprecher.

Eine geordnete Rückkehr sei erst dann gewährleistet, wenn der Kosovo vollkommen befriedet und wenn die Minen geräumt wären. In drei Wochen rechnet das UNHCR mit den ersten größeren Strömen von heimkehrenden Kosovaren. Nach Angaben des UNHCR ist die Warnung vor überstürzter Heimkehr bei den Flüchtlingen im allgemeinen gut angekommen. Allerdings gebe es vereinzelte Fälle, in denen Flüchtlinge auf eigene Faust versuchen würden, zurück in das Kosovo zu kommen.

In einem Report hatte die UN schon vor Wochen auf die Gefahren möglicher Racheakte der Kosovo-Albaner hingewiesen. Es sei "mehr als fraglich", daß es zu einem friedlichen Miteinander von Kosovo-Albanern mit ihren ehemaligen Peinigern kommen könne. Viele der Greueltaten wurden nach Augenzeugenberichten von serbischen Zivilisten verübt. Während der Nato-Attacken gegen Jugoslawien hatten bereits 60 000 Serben die Kriegsprovinz in Richtung Belgrad verlassen. Wann diese Opfer des Krieges wieder zurückkehren, ist laut UNHCR nicht absehbar.

Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) lebten vor Beginn der serbischen Offensiven gegen die ethnischen Albaner im Februar 1998 rund zwei Millionen Menschen im Kosovo. Davon waren 90 Prozent Albaner und zehn Prozent Serben. Die fliehenden Serben verschärfen jetzt die ohnehin katastrophale Situation in Restjugoslawien. Dort leben Hunderttausende Serben, die während der vorangegangenen Kriege im ehemaligen Jugoslawien ihre Heimat verloren hatten. Hauptsächlich handelt es sich um Ex-Bewohner der serbischen Siedlungsgebiete Kroatiens.

Nach Angaben der IOM will die große Mehrheit der Kosovo-Flüchtlinge in Mazedonien nicht sofort ins Kosovo zurückkehren. Bei einer Umfrage unter fast 400 Flüchtlingen hätten 43 Prozent mangelnde Transportmöglichkeiten als Grund genannt, sagte der Sprecher Jean-Philippe Chauzy am Montag in Genf. 24 Prozent hätten Sicherheitsbedenken, während 31 Prozent weiter auf die Ausreise in ein Drittland hofften.

Die Evakuierungsflüge aus Skopje in andere europäische Länder oder nach Übersee werden den Angaben zufolge zur Zeit noch immer fortgesetzt. Auch nach Deutschland seien noch weitere Flüge vorgesehen. Insgesamt seien bisher 84 450 Kosovo-Albaner ausgeflogen worden. 14 370 von ihnen sind nach Deutschland gekommen.

JAN DIRK HERBERMANN

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