zum Hauptinhalt
Ein Flüchtlingsboot als Altar: Kardinal Rainer Maria Woelki feiert in Köln eine Messe.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Flüchtlingspolitik in Deutschland: Die Kirchen - auch Haltung kennt Grenzen

Weder Obergrenzen noch ein verschärftes Asylrecht: Die Kirchen stehen fest an der Seite der Geflüchteten. Gut so. Doch ihr Einmischen hat eine Grenze. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia Keller

Die Flüchtlinge sind ein Segen für die Kirchen. Alles kircheninterne Grübeln über die Frage, welche Rolle engagierte Christen, Pfarrer und Bischöfe in der zunehmend säkularen Gesellschaft spielen, hatte ein Ende, als Hunderttausende notleidende Menschen vor der Tür standen und versorgt werden wollten. Seitdem ist für evangelische und katholische Bischöfe klar: Wir nehmen wörtlich, was die Bibel über Gastfreundschaft, Fremdenliebe und Barmherzigkeit sagt, und wir stehen fest an der Seite der Geflüchteten.

Damit einher geht ein Politisierungsschub, wie es ihn in den Kirchen schon lange nicht mehr gegeben hat. Wenn es um Einwanderer, Migranten und Flüchtlinge geht, kann sich die Kanzlerin mittlerweile mehr auf die Unterstützung der Kirchen verlassen als auf ihre eigene Partei oder die CSU. Seitdem auch die SPD ins Schlingern geraten ist und ihren Kurs sucht, entwickeln sich die Kirchen zu einer Art linker außerparlamentarischer Opposition. Ihre Botschaften sind klar und deutlich: Die Bischöfe lehnen Debatten über Obergrenzen ab, prangern menschenunwürdige Zustände in Flüchtlingsunterkünften an, warnen vor Asylrechtsverschärfungen und werben für mehr Gelassenheit im Umgang mit den Fremden.

Offenes Ohr für Leidende

Dass sich die Kirchen einmischen in die politischen Debatten, ist wichtig und richtig und auch glaubwürdig. Denn wer es ernst meint mit der christlichen Nächstenliebe und der biblischen Vision einer gerechten Welt, den lässt es nicht kalt, wenn Menschen leiden, der versucht zu helfen oder zumindest, ein offenes Ohr zu haben. Und auch wenn sich die Kirchen in der säkularen Gesellschaft nicht mehr so durchsetzen können, wie sie es gerne würden, so bleibt ihre Stimme doch wichtig. Viele Menschen wünschen sich ethische Maßstäbe und Orientierung, obwohl sie die biblischen Geschichten oft gar nicht mehr kennen.

Christsein ist keine politische Haltung

Doch die politische Haltung der Kirchen hat eine Grenze. Einige Bischöfe kommen ihr mittlerweile ziemlich nah. Sie ist dort erreicht, wo aus der Haltung ein Abgrenzungsmerkmal wird. Wo einem anderen das Christsein abgesprochen wird, weil er politisch anders denkt. „Christen können nicht fremdenfeindlich wählen“, sagte kürzlich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit Blick auf die AfD und empfahl, die Bibel neben die Parteiprogramme zu legen. Im Umkehrschluss heißt das: Wer AfD wählt, ist kein Christ. Doch das Christsein erschöpft sich nicht in einer politischen Haltung. Christ zu sein, heißt in erster Linie, auf Jesus Christus zu vertrauen, auf eine Instanz, die überparteilich ist, wenn man der Bibel glauben soll.

Bloß nicht spalten

Die politische Einmischung der Kirchen sollte deshalb ein Akt der Balance bleiben. Sicher, es ist nicht einfach, das große Ganze im Blick zu behalten und zugleich konkrete Missstände anzuprangern. Diese Balance ist noch schwieriger, wenn sich wie beim Umgang mit den Geflüchteten tiefe gesellschaftliche Gräben auftun.

Gerade dann allerdings ist es wichtig, dass sich die Kirchen nicht gemeinmachen mit einer politischen Seite, dass sie kritisch bleiben gegenüber allen politisch Mächtigen. Nur so bleiben sie auf lange Sicht glaubwürdig. Eine deutsche katholisch-evangelische Merkel-Kirche wäre auch im europäischen Kontext isoliert. Gelingt den Kirchen diese Balance nicht, drohen sie selbst zu Spaltern zu werden. Das aber wäre fatal – die Absichten mögen noch so gut sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false