zum Hauptinhalt

Politik: Für die Soldaten, nicht für Blair

Großbritannien ist tief gespalten. Die einen stellen sich hinter die Regierung, die anderen sehen im Krieg eine Schande

Für die Briten brachte der Kriegsbeginn wechselnde Gefühle von Scham und heroischer Würde. An der Heimatfront sollen sich die Menschen nach dem Rat des Innenministeriums nun mit Baked Beans, Taschenlampe und Wasservorräten auf eventuelle Terroranschläge vorbereiten. Kriegsgegner versammelten sich in mehreren Städten, darunter auch in London vor dem Parlament. „Dieser Krieg ist eine Schande. Er wird ohne Unterstützung der Briten geführt“, sagte Andrew Burgin, Sprecher der „Anti War Koalition“.

Doch Oberstleutnant Tim Collins, Kommandeur des 1. Batallions des Royal Irish Regiments, schickte seine Soldaten mit einer Rede in die Schlacht, die beinahe eines Shakespeare würdig gewesen wäre und die den Männern Tränen in die Augen trieb. „Wenn ihr im Kampf grausam seid, vergesst nicht, im Sieg großmütig zu sein. Wenn jemand sich ergibt, stellt sicher, dass er eines Tages zu seiner Familie zurückkehren kann. Wir kommen als Befreier, nicht als Eroberer. Ihr müsst weit gehen, bis ihr ein Volk findet, dass anständiger und großzügiger ist als die Iraker. Zollt ihnen Respekt." Es war der „Daily Mirror“, der den Kommandeur auf die Titelseite brachte und sich so nach seiner monatelangen Antikriegs-Kampagne hinter die britischen Truppen stellte.

Das Kriegskabinett tagt

Der „einseitigste Krieg der Geschichte“, wie ihn der „Guardian“ beschrieb, hat die Briten tief gespalten. Die skeptischen Stimmen sind keineswegs verstummt, aber die Nation und auch die Medien sammeln sich nun, wenn nicht hinter Blairs Kriegskurs, so doch hinter den Soldaten. Nach einer am Mittwoch, also nach der Parlamentsabstimmung, veröffentlichten Umfrage des „Daily Telegraph“ unterstützt inzwischen die Hälfte der Briten den Krieg. Jeder Zweite schiebt dabei, wie Premier Tony Blair, die Schuld am Scheitern der Diplomatie dem französischen Präsidenten Jacques Chirac in die Schuhe.

Blair berief morgens um 8 Uhr 30 sein Kriegskabinett ein. Unklar war, ob er über den ersten Luftangriff in der Nacht zum Donnerstag von den USA informiert worden war oder nicht. Das Parlament wurde offiziell von Verteidigungsminister Geoff Hoon über den Beginn der Kampfhandlungen unterrichtet. Hoon warnte, der Krieg könne länger dauern als erhofft. Außerdem bestätigte er, dass „auch britische Soldaten an Operationen beteiligt sind“. Nähere Angaben machte er dazu nicht. 42 000 britische Soldaten sind im Einsatz. Verwirrung herrschte über eine geplante Fernsehansprache von Premierminister Tony Blair, die zunächst für Donnerstagabend angekündigt worden war. Blair flog jedoch am Nachmittag zum EU-Gipfel nach Brüssel. Aus seinem Amtssitz hieß es, die Rede sei „wegen der schnellen Entwicklung der Ereignisse“ aufgezeichnet worden und werde zu einem „angemessenen Zeitpunkt“ ausgestrahlt.

Der britische Außenminister Jack Straw erläuterte angesichts der Welle internationaler Kritik noch einmal die britische Position: „Saddam Hussein traf die strategische Entscheidung, sich der internationalen Gemeinschaft zu widersetzen, und ließ uns keine andere Wahl als die Gewalt.“ Zum Streit mit den Franzosen sagte Straw ohne diplomatische Umschweife: „Es gab keine Differenzen, als wir die UN-Resolution 1441 beschlossen. Die Differenzen traten erst in diesem Jahr auf. Wir kamen zu dem Urteil, dass Frankreich eine strategische Entscheidung getroffen hat, Resolution 1441 nicht umzusetzen. Dies ist die Mutter und der Vater des Ganzen.“

„Gegen den Rest der Welt“

Schon am Vormittag hatte sich eine größere Schülergruppe zu Protesten vor dem Parlament versammelt – und das, obwohl der Verband der Schuldirektoren die Teilnahme als „Schulschwänzen“ verboten hat. In der Cape-Cornwall-Schule in St. Juste mussten 20 Schüler mit dem Unterrichtsausschluss rechnen, weil sie an einer Demonstration teilgenommen hatten. Jahrelang politisch lethargische Teenager haben mit Begeisterung die Aufrufe der „Stop the War“-Gruppe befolgt, gegen den Krieg zu protestieren. „Es ist nur George Bush und Tony Blair gegen den Rest der Welt“, sagte die 14-jährige Schülerin Ella Jones am Parliament Square. Demonstrationen und Sitzproteste, die zeitweilig den Verkehr blockierten, wurden aus mehreren Städten gemeldet, darunter Sheffield, Manchester, Bradford und Leeds.

Auch die so genannten „Gloucestershire Waffeninspekteure“ setzten ihre Proteste am Luftwaffenstützpunkt Fairford fort, wo die amerikanischen B-52-Bomber stationiert sind. Der britische Nachrichtensender Sky News zeigte am Donnerstag Bilder davon, wie die Flugzeuge mit Bomben beladen wurden. Die Demonstranten in Fairford sehen sich in der Nachfolge der „Greenham Common Frauen“, die in den achtziger Jahren gegen die Stationierung amerikanischer Cruise Missiles protestierten.

Zur Startseite