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Politik: Gandhi von Pristina

Der Präsident des Kosovo, Ibrahim Rugova, ist tot – was wird jetzt aus der Provinz?

Von Caroline Fetscher

Er war ein milder Mann, ein Intellektueller mit nachdenklichem Blick und Schwermut in den Augen. Ibrahim Rugova, Präsident des Kosovo, Politiker und Literat, der am Samstag im Alter von 61 Jahren in Pristina an Lungenkrebs starb, war ein Mann der erstaunlichsten Comebacks. Immer wieder wurde er gewählt, sogar dann noch, als 2002 jüngere Widersacher den beliebten ehemaligen Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UCK, Hashim Thaci, als Gegenkandidaten aufstellten. Bei den Vereinten Nationen, deren Protektorat das Kosovo seit dem Kriegsende im Sommer 1999 ist, war man erleichtert, dass der „Gandhi von Pristina“ das Vertrauen der Bevölkerung bekam.

Die Rolle Rugovas, dessen Karriere 1988 als Präsident des kosovo-albanischen Schriftstellerverbandes begann, war zuletzt umstritten gewesen. 1990 hatte seine „Demokratische Liga Kosovos“ (LDK) in der südserbischen Provinz die nicht genehmigten Wahlen gewonnen, und Rugova war Präsident ohne völkerrechtlich anerkanntes Territorium geworden. Als das Regime des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic den Albanern immer mehr Rechte beschnitt, propagierte Rugova, orientiert an Vorbildern wie Martin Luther King, passiven Widerstand. Als serbische Milizen zunehmend Druck ausübten, wuchs in der jungen Generation der zwei Millionen Kosovaren der Unwille gegen diesen Kurs. Die Befreiungsarmee UCK begann, aktiv für die Unabhängigkeit zu kämpfen.

Als schließlich die Nato 1999 gegen Serbien intervenierte, tauchte Rugova – offenbar gezwungen von Milosevic – neben dem Diktator im Staatsfernsehen auf, um gegen die Bombardierung zu sprechen. Er wurde als „Verräter“ tituliert, zog sich für einige Monate nach Italien zurück, kehrte jedoch ebenso sanftmütig und beharrlich wieder, ganz der Pazifist von zuvor und mit seinem legendären Seidenschal um den Hals.

Geboren am 2. Dezember 1944 im Dörfchen Cerce in Südwestkosovo, hatte der heranwachsende Rugova die Literatur zu seinem Sujet erkoren. An der Universität Pristina vertiefte er sich in albanische Lyrik. Dem Weg seines rebellischen Vaters, der 1945 von Partisanen liquidiert worden war, schien er nicht folgen zu wollen. Doch die Umstände machten auch ihn zum Vertreter der Unabhängigkeit des Kosovo. Im März 2004 etwa, als serbische Häuser und Klöster brannten, blieb Rugova seltsam still.

Seinem Ziel der Unabhängigkeit Kosovos sollte Ibrahim Rugova in diesem Jahr so nah kommen wie nie zuvor. Als Delegationsleiter der Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina unter der Ägide des finnischen Ex-Premiers Martti Ahtisaari hätte er jetzt mit am Runden Tisch gesessen. Als moderate Stimme im Chor der Kosovo-Politik werden ihn vor allem die westlichen Diplomaten vermissen. Vorübergehendes Staatsoberhaupt wird nach der Verfassung zunächst der Parlamentspräsident des Kosovo, Nexhat Daci. Ibrahim Rugovas Körper wird jetzt in den Boden Kosovos gesenkt werden, dessen Steine er so gerne sammelte. Für jeden seiner Besucher holte der starke Raucher Rugova stets einen Stein aus einem Stoffbeutel hervor, als Abschiedsgeschenk.

Nach Rugovas Tod wurde der für Mittwoch geplante Beginn der Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo auf Februar verschoben. Dies teilte die Sprecherin des Chefunterhändlers der Vereinten Nationen am Samstag mit. Die Gespräche in Wien würden wegen der Trauerzeit vertagt, sagte Hua Jiag.

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