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Politik: Gastkonzert in Wiesbaden

Joschka Fischer kehrt für einen Abend auf die politische Bühne zurück – um mit Roland Koch abzurechnen

Wiesbaden - Der Konzertsaal des Wiesbadener Kurhauses, 1907 von Kaiser Wilhelm II. höchst selbst eingeweiht, gibt eine prunkvolle, fast schon pompöse Kulisse ab. Säulen in dunklem Marmor, goldbemalte Kassettendecke, opulenter Stuck. In dieser wilhelminischen Pracht steht am Montagabend einer, der lange selbst als Herrscher galt, wenn auch als ungekrönter. „Das Leben ist doch merkwürdig“, sagt Joschka Fischer. Nun habe er in seinem Leben „so viele Wahlkämpfe gemacht“. Aber noch nie sei er in einem solchen Saal aufgetreten.

Vielleicht passt das gediegene Ambiente aber doch ganz gut, wenn man bedenkt, dass es sich um ein einmaliges Revival-Konzert handelt, aus dem keinesfalls ein Comeback werden soll, wie Fischers alter Freund Daniel Cohn-Bendit versichert. Der „letzte Live-Rock´n Roller der deutschen Politik“ (Fischer über Fischer) sei nur gekommen, um an diesem einen Abend noch mal die alten Nummern zu spielen. Eine Tournee soll daraus nicht werden.

Es ist 19.40 Uhr, als Fischer auf die Bühne steigt. Der umjubelte Alt-Star trägt einen dunklen Anzug, aber keine Krawatte. Die linke Hand steckt lässig in der Hosentasche. Bevor er loslegt, macht er der Vorgruppe noch ein Kompliment für die „großartige Rede“, die er mit „wachsender Begeisterung“ gehört habe. Der hessische Grünen-Spitzenmann Tarek Al-Wazir, der die ersten vierzig Minuten den Einheizer gegeben hat, darf sich geadelt fühlen. Gut möglich, dass Fischer hinter den Kulissen versuchen wird, den 37-Jährigen in der Hierarchie der Bundespartei nach vorne zu schieben, wenn es nach der Hessen-Wahl in Wiesbaden zu einer rot-grünen Koalition kommen sollte.

Fischer beginnt mit einem Bekenntnis. „Mein politisches Herz ist immer hier geblieben“, sagt der frühere hessische Umweltminister. Hessen mit seiner liebenswerten Verbindung von Bodenständigkeit und Weltläufigkeit sei einmal ein „Vorbild an Modernität und Liberalität gewesen“. Deshalb habe er sich auch ein Stück weit geschämt für die Kampagne des Ministerpräsidenten Roland Koch zur Ausländer- und Jugendgewalt.

Damit ist Fischer bei seinem Thema und seiner Botschaft: Koch muss weg. Der CDU-Bundesvize habe „niedrigste Instinkte mobilisiert“, sich „unanständig und inakzeptabel“ verhalten. Ein Regierungschef, der sich retten wolle, „indem er ganz offen auf Ausländerfeindlichkeit setzt“, der müsse abgewählt werden, ruft er ins Publikum. Wer als CDU-Wähler an einer modernen CDU interessiert sei, die den Integrationskurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel fortsetze, könne Koch nicht unterstützen: „Roland Koch hat einer modernen CDU einen Bärendienst erwiesen, sie um Jahre zurückgeworfen. Auch das ist ein Grund, warum man ihm den Stuhl vor die Staatskanzlei setzen muss.“

Dann geht er mit der Warnung der CDU vor einem Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei ins Gericht. „Wenn einer 89 ins Koma gefallen wäre und jetzt aufwacht, würde er sich wundern, warum die Kommunisten schon wieder dabei sind, Hessen zu erobern.“ Die Landesregierung habe völlig abgewirtschaftet, fährt Fischer fort. Nun versuche ein panischer Roland Koch mit einer „Verbindung von Antikommunismus und Ausländerfeindlichkeit“ die Niederlage zu verhindern. „Er ist wirklich im Wegrutschen. Er spürt es. Die Sache ist gewinnbar. Jetzt kommt es darauf an, sich reinzuhängen“, ruft Fischer den über 1000 Grünen-Anhängern zu.

Eine gute halbe Stunde dauert Fischers Koch-muss-weg-Rede, immer wieder wird sie von Applaus unterbrochen. Fischer ist angriffslustig wie eh und je, seine Stimme klingt knarzig wie früher, er setzt Pointen, er wechselt die Stimmlage und die Lautstärke. Und dennoch: Das Gänsehautgefühl von früher, es will einfach nicht mehr aufkommen. Vielleicht liegt es daran, dass man weiß: Als Live-Rock´n´Roller ist Fischer Geschichte.

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