Politik: Gemeinsam durch die Krise
Als die SPD im Mai 2005 Nordrhein-Westfalen verliert, entscheidet sich Gerhard Schröder für Neuwahlen. Er kämpft die SPD fast an die Union heran – und zwingt die Kanzlerkandidatin und Wahlsiegerin Merkel in die große Koalition.
Stand:
Als die SPD im Mai 2005 Nordrhein-Westfalen verliert,
entscheidet sich Gerhard Schröder für Neuwahlen. Er kämpft die SPD fast an die Union heran – und zwingt die Kanzlerkandidatin und Wahlsiegerin Merkel in die große Koalition. Die Genossen schicken Steinbrück ins Finanzministerium. Der brilliert mit
seiner Rhetorik und seinem Wissen auf internationalem Parkett, anders als die Chefin auch in gutem Englisch. Merkel nützt
ihr fließendes Russisch auf diesem Feld nun einmal wenig.
Merkel und Steinbrück arbeiten reibungslos zusammen.
Beide eint ein eher analytischer Zugang zur Politik. Und beide wissen die Talente des anderen zu nutzen. Als Merkel vom
französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und dessen Allmachtsfantasien genervt wird, schickt sie Steinbrück vor, der sich mit dem Franzosen anlegt. In einer Sitzung der europäischen Finanzminister, in die sich Sarkozy selbst eingeladen hat, stellt sich Steinbrück massiv gegen den Präsidenten. Der zitiert, noch während Steinbrück redet, dessen Staatssekretär Thomas Mirow zu sich und droht mit Konsequenzen für das deutsch-
französische Verhältnis. „Die Kanzlerin hat gelacht, als sie
davon hörte“, erzählt Steinbrück hinterher.
Mit Merkel trifft er sich nicht selten auch unter vier Augen. Trotz der Zusammenarbeit bleibt aber eine Distanz zwischen ihnen. „Was sie wirklich antreibt, weiß ich nicht“, hat er schon in jenen Zeiten gesagt. Dass sie mit Macht anders umgeht als die
Männer, das hat er am Beispiel Edmund Stoibers beobachtet. Als der CSU-Chef in Rom gegen die Kanzlerin ätzt und sich
entsprechende Zitate wenig später in der „Bild“-Zeitung
wiederfinden, schweigt Merkel. „Sie hat ihr Umfeld vergattert, nichts zu sagen, und die sagen dann auch nichts“,
stellt Steinbrück erstaunt fest. „Wir Männer hätten die Colts
bereit gemacht und uns im Morgengrauen duelliert.“
Die Bewährungsprobe der Zusammenarbeit kommt am 5. Oktober 2008. Im Kanzleramt sitzt eine eilig zusammengetrommelte Runde. Draußen nimmt die Finanzkrise ihren Lauf, drinnen wägen sie ab, was von der jüngsten Alarmmeldung der Bundesbank zu halten sei: Es gebe da verdächtig viele Kontenbewegungen, ungewöhnlich vor allem die Bargeld-Abhebungen. Droht der gefürchtete „bank run“, eine Sparer-Panik, die das gesamte Finanzsystem in den Abgrund reißen kann? Nachmittags um drei stehen eine angespannte Kanzlerin und ein mühsam beherrschter
Finanzminister vor einbestellten Fernsehkameras. Merkel und Steinbrück garantieren den Sparerinnen und Sparern, „dass Ihre Einlagen sicher sind“. Erst hinterher fragt jemand, was mit „Einlagen“ denn bloß gemeint ist. Niemand weiß es, der Regierungssprecher wird instruiert, sich sicherheitshalber um
Antworten herumzumogeln. Der Trick funktioniert. Von da an sind die Kanzlerin und ihr Lieblings-Sozi das Traumpaar der Finanzkrisenbewältigung. Steinbrück versteht das Fach und das Finanzchinesisch, Merkel hat als Chefin der stärksten Volkswirtschaft und zähe Unterhändlerin längst die entscheidende Stimme in Brüssel. Die Wähler sehen die Bilanz einseitiger. Die SPD geht bei der Wahl ein Jahr später schwer gerupft aus der großen Koalition hervor. Merkel und ihre Union eigentlich auch, sie verliert sogar noch einmal gegenüber dem schlechten Jahr 2005. Aber weil
FDP-Chef Guido Westerwelle den Wahlkampf seines
Lebens hinlegt, reicht es am Ende für das lange
herbeigesehnte Traumpaar: Schwarz und Gelb.
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