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Friedrich Merz (CDU)

© Reiner Zensen / imago

Gesellschaftspolitisch von gestern: Friedrich Merz' Sprüche haben eine traurige Tradition

Mit Aussagen über Pädophilie und Homosexualität hat der Aspirant auf den CDU-Vorsitz viel Unverständnis ausgelöst. Die Kritik geht bis ins konservative Lager.

Von Robert Birnbaum

Vor ziemlich genau einem Jahr übte Friedrich Merz sich kurz in Demut. Beim Deutschlandtag der Jungen Union in Saarbrücken nahm er die wankende CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Schutz.

„Auch ich hätte Fehler gemacht, vielleicht andere, vielleicht schwerer“, rief Merz seinen jugendlichen Fans zu. „Nein“, tönte es aus dem Saal. „Doch, doch, doch“, gab Merz zurück. Inzwischen weiß er: Stimmt. Nur sind es nicht mal andere. Auch der Mann, der erst CDU-Chef und dann Kanzler werden will, präsentiert sich immer wieder mal gesellschaftspolitisch von gestern.

Das könnte ihm nach althergebrachter Sicht auf die politische Landschaft eigentlich egal sein. Merz trat schon beim ersten Versuch, zum krönenden Abschluss seines Lebenslaufs noch einmal an die Spitze zu kommen, als offensiver Gegner der Angela-Merkel-CDU an.

Seine Anhänger schätzten ihn für abfällige Sprüche über Merkels Modernisierungskurs. Sie hofften und hoffen auf einen konservativen Rollback – Schluss mit Gendern, zurück zum alten Familienbild. Dass sich ihr Held an die Corona-Volksheldin im Kanzleramt aktuell nicht mehr rantraut, gilt in diesen Kreisen bloß als taktisches Zugeständnis.

Das Problem dabei ist nur: Die althergebrachte Sicht funktioniert so nicht mehr. Die gescheiterte Parteivorsitzende kann darüber einiges erzählen. In Kramp-Karrenbauers kurzer Amtszeit stechen zwei Fehltritte heraus: Der Karnevalswitz über das dritte Geschlecht und die unbeholfene Antwort auf die Klima-Provokation des Youtubers Rezo.

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In beiden Fällen kam die Kritik an der Saarländerin eher von links. Trotzdem musste sie am Ende beidrehen. Denn eine nennenswerte Solidaritätsbewegung blieb sogar aus der eigenen Partei aus.

Das lag zum Teil daran, dass die Konservativen ihr den Sieg über Merz immer noch übel nahmen. Doch dazu kam, dass außer vielleicht den Ultras von der „Werte-Union“ auch in der CDU keiner mehr dabei erwischt werden will, offen für seine Freiheit zum Altherrenspruch zu kämpfen.

„Kalte Dusche“ für Lesben und Schwule in der CDU

Merz macht gerade die gleiche Erfahrung. Dass er im „Bild“-Talk vom schwulen Kanzler zum Kinderschänder gedanklich nur einen Halbsatz brauchte („Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht –, ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.“), stieß vor allem bei politischen Gegnern auf Kritik. Doch Gegenwind gab es eben auch aus der eigenen Partei.

Jens Spahns Replik – „Naja, wenn die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen oder Pädophilie ist, dann müssen Sie eher Fragen an Friedrich Merz richten“ – trug dem schwulen Gesundheitsminister viel Beifall ein.

Der Vorsitzende der Lesben- und Schwulen-Union (LSU), Alexander Vogt, wurde noch deutlicher: Er sei maßlos verärgert, dass Merz den „immer wieder hergestellten, aber nicht vorhandenen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie“ herstelle. Für die LSU, die zäh gegen diese Verdächtigung ankämpfe, sei Merz’ Äußerung wie eine „kalte Dusche“.

Der Kandidat versuchte sich in Vorwärtsverteidigung: Das sei ein „bösartig konstruierter Zusammenhang, der in keiner meiner Äußerungen vorkommt“, behauptete er in der „Welt“. Wie man den Zusammenhang sonst verstehen könnte, war dem verständnisvoll geführten Interview allerdings nicht zu entnehmen.

Er ist vorbelastet

Erschwerend kommt hinzu, dass Merz vorbelastet ist. Seinen Kommentar zu Klaus Wowereits Outing („Solange Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal“) kam aus der gleichen Gedankenwelt; später versicherte er, den damals „humorvoll gemeinten“ Spruch würde er heute nicht mehr machen.

Doch auch die Bemerkung kurz nach Kramp-Karrenbauers Rückzug, es sei reiner Zufall, „dass Tiefs im Augenblick Frauennamen tragen“, gilt höchstens noch auf sauerländischen Schützenfesten als gelungener Scherz.

Öffentlich zur Seite gesprungen ist ihm damals wie heute keiner. Offenen Beifall bekam er erst recht nicht.

Kritik bis hin zur „NZZ“

Im Gegenteil – sogar von völlig ungewohnter Seite hagelt es harte Kritik. Die „Neue Zürcher Zeitung“ gilt als publizistische Unterstützerin der Konservativen in der Union. Doch diesmal versagt das Schweizer Blatt den Beistand. „Zu Recht“ werde Merz kritisiert. Seine Assoziation sei nämlich nicht nur einfach angestaubt.

„Sie ist ein Grund dafür, dass es bis heute und auch in liberalen Gesellschaften immer noch Menschen gibt, die sich trauen, gleichgeschlechtlich Liebende als ’Kinderschänder’ unter Generalverdacht zu stellen, sie zu beleidigen und körperlich anzugreifen“, schrieb das Blatt. Der Autor kam denn auch zu einem vernichtenden Schluss: „Würde Merz die Menschen mit den anderen ’Lebensentwürfen’ in seinem Umfeld nicht nur dulden, sondern fragen, dann wüsste er das.“

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