Politik: Grenzen des Rechts
Von Wolfgang Schäuble
Mit den Grenzen der Gesetze hat sich Antje Vollmer vergangene Woche beschäftigt. Luftsicherheitsgesetz, Folterdebatte und Patientenverfügung nimmt sie als Beispiele, bei denen ein Konflikt zwischen Gesetz und Moral nicht aufgelöst werden könne und der Einzelne notfalls aus ethischer Verantwortung rechtswidrig handeln und eben auf eine milde Strafe hoffen müsse.
Dagegen sträubt sich mein – zugegeben juristisch geprägtes – Denken. Wahr ist, dass der Gesetzgeber nicht alles regeln kann und wohl auch viel weniger zu regeln suchen sollte. Das geplante Antidiskriminierungsgesetz ist ein Beispiel. Jeder ist gewiss gegen Diskriminierung, aber ob die gerichtliche Überprüfung jeder etwa mit einer Einstellung notwendig verbundenen Auswahlentscheidung zu mehr Gerechtigkeit führt, da sind Zweifel angebracht. Summum ius – summa iniuria, die alten Römer wussten: Wo jedes Detail rechtlich geregelt werden soll, da pervertiert Gerechtigkeit.
Aber die Grenzen von Recht und Unrecht muss der Gesetzgeber schon zu ziehen suchen, und gerade in existentiellen Grenzsituationen darf er den Einzelnen bei gegebener moralischer Verantwortung nicht einfach mit dem Makel der Rechtswidrigkeit allein lassen. Nehmen wir die drei Fälle von Antje Vollmer: Beim Luftsicherheitsgesetz geht es darum, ob zur Abwehr eines terroristischen Angriffs notfalls die Tötung Unschuldiger in Kauf genommen werden darf. Dass es solch tragische Fallgestaltungen geben kann, ist nicht zu bestreiten. Aber dann sollte man diejenigen, die mit der Gefahrenabwehr beauftragt sind – ob Soldat, Polizist oder Minister – nicht mit dem Problem möglicher Rechtswidrigkeit allein lassen, sondern klarstellen, wer unter welcher Voraussetzung welche Entscheidung rechtsgültig treffen kann.
Ähnlich ist es bei der Patientenverfügung. Ob man den Willen des Patienten, auf weitere Behandlung zu verzichten, respektieren will oder nicht, das muss der Gesetzgeber irgendwie entscheiden. Er kann die Frage auch dem Arzt oder den Angehörigen überlassen, aber dann darf er sie eben nicht gleichzeitig mit dem Risiko straf- und zivilrechtlicher Haftung überziehen.
Wenn wir also über die Grenzen des Gesetzgebers diskutieren, sollten wir Entscheidungen, die wir gesetzlich gerade nicht regeln wollen, auch nicht für rechtswidrig erklären. Beim Folterverbot bin ich dafür, dass wir dabei bleiben, dass Folter niemals gerechtfertigt werden kann, weil die mit ihr verbundene Verletzung der Menschenwürde am Ende schlimmere Folgen nach sich zieht als der Verzicht auf die im Einzelfall noch so dringlich ersehnte Rettung.
Ob wir das eine oder das andere wollen, darüber müssen wir uns verständigen, am besten vor der Entscheidung des Gesetzgebers in ernsthafter öffentlicher Debatte. Zu der brauchen wir ethische Maßstäbe. Richard Schröder hat davor gewarnt, „ethische Fragen wissenschaftlich zu verblödeln“. Da ist viel Wahres dran. Der Mut zu eigenem Urteil und Standpunkt gehört auch dazu. Das fällt bei aktuellen Gegenständen öffentlicher Erregung nicht immer leicht. Eine Meldung jagt die andere, wobei die meisten sich gegenseitig selbst produzieren. Für ein ruhiges Abwägen bleibt kaum noch Raum. Wer die Pressekonferenz des Fußballschiedsrichters Jansen verfolgt hat, konnte davon eine Ahnung bekommen. Außer dass ihn ein Kollege, der seine Betrügereien eingestanden hat und deshalb eher Attraktion für Talkshows als ein Muster an Glaubwürdigkeit ist, belastet hat, liegt, soweit aus öffentlichen Quellen ersichtlich, nichts Konkretes gegen ihn vor. Was seine Kinder jetzt zu erleiden haben, klang glaubwürdig. Wie man sieht, ist die Unschuldsvermutung nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein moralisches Gebot.
Der Autor ist Mitglied im CDU-Präsidium. Er schreibt im Wechsel mit Antje Vollmer und Richard Schröder.
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