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Politik: Großstadtpflaster

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Dass die Frau S. aus dem Rheinlande gebürtig ist, hört jeder halbwegs Kundige bei ihrem ersten Satz.

Von Robert Birnbaum

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Dass die Frau S. aus dem Rheinlande gebürtig ist, hört jeder halbwegs Kundige bei ihrem ersten Satz. Überdies weiß es jeder ganz Kundige auch so, weil die Frau S. gewissermassen zum bundespolitischen Urgestein gehört. Schon in Bonn hat jahrelang ihre Stimme die Anrufer empfangen, jetzt in Berlin ist es nicht anders. Das ist keineswegs natürlich, sondern vielmehr nach wie vor ein mittleres Wunder. Denn der Rheinländer begibt sich nicht gerne auswärts, schon gar nicht in östlicher Richtung über den Rhein hinweg – eine zirka 2000 Jahre alte Abneigung, datierend aus den Zeiten, als linksrheinisch die zivilisierte römische Welt sich in Toga und modische Sandalen gewandet in der Sänfte tragen ließ, rechtsrheinisch aber der Gote, der Teutone und dergleichen ungewaschenes Volk in Fellstiefeln fürbass durch die Wildnis trottete.

Damals in Bonn ist die Frau S. infolge dieser Tradition nur mit dem Auto unterwegs gewesen, sodass die Kinder schon gespottet haben, sie werde demnächst vierrädrig um die Ecke zum Zigarettenautomaten rollen. In Berlin hat sie das Auto abgeschafft, wegen der Wildnis auf den Großstadtstraßen, und ist zu Fuß gegangen. Ist ja auch nicht weit, der Weg zum Arbeitsplatz. Eines Tages ist sie aber nach Hause gekommen, und wie sie die Schuhe auszog, waren die Strümpfe pechschwarz. Die Frau S. hat am nächsten Tag neue Strümpfe angezogen. Aber die waren am Abend wieder genau so schwarz. Und nass. Da hat sie sich die Schuhe von unten betrachtet – sieh’ da: Zwei Eineurostückgroße Löcher, in jeder Schuhsohle eins! Die Goten, Teutonen und sonstigen Ungewaschenen hätten sich bei dem Anblick vermutlich einen Ast gelacht.

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