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Die Tafeln in Deutschland benötigen mehr Unterstützung.  Foto: dpa/Christophe Gateau

© dpa/Christophe Gateau

Armut, Klima, Krieg: Wer nimmt uns die tief verwurzelten Ängste? Niemand

Wenn niemand Orientierung bietet in rauen Zeiten, sind die Bürger gefragt. Und zwar auch ganz praktisch.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Nirgends in der Welt sind die Zukunftssorgen so groß wie in Deutschland, sagt Ipsos, das Meinungsforschungsinstitut, das regelmäßig 30.506 Menschen aus 29 Ländern befragt. Begleitet werden große Inflationssorgen – 50 Prozent aller Bürger:innen haben sie – von weitverbreiteter Furcht vor Armut und sozialer Ungleichheit (36 Prozent).

Im Sorgenranking folgen der Klimawandel mit 33 Prozent, militärische Konflikte mit 30 und Corona mit 18 Prozent. Eines noch: Die Folgen des Klimawandels werden in keinem anderen Land so angstvoll gesehen.

Wer nimmt uns die tief verwurzelten Ängste? Niemand

Inflation, Armut, Klima, Krieg… Und, wer nimmt sie uns, die Furcht, ja die psychologisch tief verwurzelten Ängste im Land? Niemand. Nicht der Bundespräsident, nicht der Bundeskanzler als die obersten Orientierungsfiguren. Raue Zeiten kämen auf uns zu, ja, das hören wir, jüngst erst in der Rede des Präsidenten. Aber was wir tun können, konkret übers Gassparen hinaus – dazu hören wir nichts.

Wir Deutsche sollen den Gürtel enger schnallen? Nicht alle können das, nicht einmal in Deutschland, dem Land des relativen Wohlstands. Wir sollen angesichts der Weltereignisse widerstandsfähiger werden – gegen was? Wenn ja, wie? Und was sind wir bereit, uns abzuverlangen?

Fragen, deren Antworten offen bleiben. Was umgekehrt allzu leicht zu falsch verstandenen Antworten führen kann. Denn nicht jede Form des Widerstand gegen herrschende Verhältnisse ist legal, legitim, opportun. Eine Diskussion darüber führen wir ja gerade anhand der Klimaproteste.

Helfen wir uns selbst, indem wir einander helfen

Auf die Unterscheidung kommt es an. Die wiederum die Politik treffen muss, der Bundestag als Vertretung des Souveräns, der wir Bürger:innen sind, der Präsident als eine Art Integrationsagentur des Staates, der Kanzler als dessen operativer Chef.

Je länger es nun dauert, dass die Politik sich sortiert, desto deutlicher wird zugleich die Herausforderung. Es ist eine an uns gerichtete, an die Gesellschaft. Darum: selbst ist die Bürgerin, der Bürger. Helfen wir uns selbst, indem wir einander helfen . Auf allen – selbstverständlich demokratischen – Wegen.

Sagen wir so: Selbsthilfegruppen mal anders, über Social Media und in Präsenz, ob für Nachhaltigkeit beim Waschen von Wäsche oder beim Duschen, ob für Konsumveränderung im täglichen Leben oder bei der Kleidung. Guter Rat ist nicht teuer, er ist willkommen.

Ziel muss eine gemeinsame Neuorientierung bei der Hilfe sein, ob privat oder Staat. Nehmen wir die Tafeln, zum Beispiel die. Immer mehr armutsbetroffene Menschen in Deutschland sind auf Angebote der Tafeln angewiesen. Die Anzahl ihrer Kunden ist seit Anfang des Jahres um 50 Prozent gestiegen. Millionen Menschen werden unterstützt. Da brauchen die Tafeln selbst Unterstützung, von staatlicher Finanzierung bis zu Sachmitteln für Energiekosten oder Spenden überschüssiger Lebensmittel.

Der Bundespräsident hatte seinen Kennedy-Moment: Er forderte, „alles zu stärken, was uns verbindet“. Sein Moment ist verflogen. Wir Bürger:innen haben die Chance auf viele Momente in den kommenden Monaten.

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