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Wer als Hartz-IV-Empfänger gegen die Pflichten verstößt, soll zukünftig schneller bestraft werden.

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Update

Hartz IV: Hartz-IV-Sanktionen auf dem Prüfstand

Mehr als eine Million Sanktionen wurden 2013 verhängt. Rund 6300 Hartz-IV-Bezieher haben dagegen geklagt, ein Bruchteil der Betroffenen. Immerhin 40 Prozent von ihnen mit Erfolg.

Wer Arbeit ablehnt oder Termine beim Jobcenter verstreichen lässt, dem kann die Hartz IV-Leistung gekürzt werden. Im ersten Schritt um bis zu 30 Prozent des Regelsatzes, der momentan bei 391 Euro im Monat für Erwachsene liegt. Gut eine Million solcher Sanktionen sind im Jahr 2013 verhängt worden, wie Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen. Der Großteil der Sanktionen ist auf so genannte Meldeversäumnisse zurückzuführen, etwa weil ein Hartz–IV-Empfänger ohne Begründung nicht zum vereinbarten Gespräch erschienen ist. Das macht etwa drei Viertel der Fälle aus. Komplett streichen die Jobcenter die Hartz IV-Leistung nur im Ausnahmefall, auf Antrag gibt es dann Lebensmittelgutscheine.

Im Jahr 2013 wurde gegen weniger als ein Prozent der Sanktionen bei Hartz IV geklagt

Nicht immer sind die Betroffenen bereit, eine Sanktion zu akzeptieren. So gab es im vergangenen Jahr gegen 58 300 Sanktionsentscheidungen Widersprüche, davon wurden 35 300 von den Jobcentern zurückgewiesen. Bundesweit entschieden sich daraufhin knapp 6300 Hartz–IV-Bezieher, vor Gericht zu ziehen. Umgerechnet wurde also im vergangenen Jahr gegen 0,62 Prozent der Sanktionen geklagt.

Vier von zehn Klägern waren erfolgreich

Von diesen Verfahren ging immerhin ein guter Teil zu Gunsten der Betroffenen aus: In 611 Fällen wurde der Klage teilweise oder vollständig stattgegeben. Und in 2097 Fällen wurde die Klage „anderweitig erledigt mit Nachgeben oder teilweise Nachgeben“ – sprich: es kam zu einer Art Vergleich. Etwa vier von zehn Klägern waren damit erfolgreich. Ähnlich sieht die Quote bei den Widersprüchen aus: In 22 414 Fällen wurden diesen ganz oder teilweise stattgegeben, umgerechnet sind das 38 Prozent. „Wenn jemand Unterlagen nachreicht oder begründen kann, warum er Termine versäumt hat, dann geben die Jobcenter auch nach“, heißt es in der Arbeitsverwaltung.

Häufiger wird wegen der Kosten der Unterkunft geklagt

Die meisten Gerichtsverfahren, die derzeit von Hartz-IV-Empfängern angestrengt werden, beziehen sich jedoch gar nicht auf Sanktionen, wie eine BA-Sprecherin erklärt. Deutlich öfter klagen Arbeitslose gegen die Kosten der Unterkunft – also die Leistungen, die für Miete und Heizung gezahlt werden und die sich je nach Kommune unterscheiden. Ein weiterer häufiger Klagegrund: die Anrechnung von Einkommen. „Das liegt an der Kompliziertheit der Materie“, erklärt die BA-Sprecherin.

"Regelungen sind zu kompliziert"

Wie künftig mit Regelverstößen bei Hartz IV umgegangen werden soll, ist umstritten. Seit etwa einem Jahr berät eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wie die Verwaltungsvorschriften bei Hartz IV vereinfacht werden können. Dass diese einfacher werden sollen, dafür machen sich auch die Kommunen stark, die in vielen Jobcentern mitarbeiten. „Nach wie vor sind die Regelungen sowohl für die Betroffenen als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern zu kompliziert und bürokratisch“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der „Passauer Neuen Presse“. Das führe zu einer Vielzahl von Widersprüchen und Rechtsstreitigkeiten: „Viele komplizierte Berechnungen der Einzelansprüche sollten durch die Möglichkeit der Pauschalierung vereinfacht werden.“ Je einfacher und transparenter das System gestaltet werde, umso mehr könnten sich die Jobcenter auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren, „nämlich Menschen wieder in Arbeit zu bringen“, sagte Landsberg. Der Grundsatz „Fördern und Fordern“ habe sich aber bewährt, fügte Landsberg hinzu. „Deshalb wäre es falsch, Sanktionsmöglichkeiten abzuschaffen.“

Hartz IV nur noch einmal im Jahr beantragen

In der Diskussion der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist unter anderem, dass Hartz IV künftig nicht mehr halbjährlich neu beantragt werden muss, sondern nur einmal im Jahr. Ergebnisse seien im Herbst zu erwarten, teilte das Bundesarbeitsministerium mit. Die Bundesregierung werde dann entscheiden, welche der Vorschläge in einem Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden sollten. Dieses werde noch in diesem Jahr in Angriff genommen. „Es ist explizit nicht Ziel der Änderungen, den Leistungsbezug restriktiver zu gestalten“, hieß es weiter. Die Rechtsvereinfachung habe das Ziel, "weniger Bürokratie und mehr Zeit für die Betreuung der Hilfebedürftigen zu schaffen". In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD sich außerdem darauf verständigt, die Sanktionsregeln und -praxis für unter 25-jährige zu überprüfen. In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe gibt es Sympathien dafür, die Sonderregeln für junge Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen. Wer unter 25 Jahre alt ist, dem kann nach geltendem Recht schon bei der ersten Pflichtverletzung die komplette Unterstützung gestrichen werden.

Grünen-Arbeitsmarktexpertin warnt davor, "ständig mit der Sanktionskeule zu drohen"

Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer kritisierte, es werde schon viel zu lange einseitig auf Druck statt Motivation gesetzt. Das Ziel müsse sein, Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. „Das funktioniert aber nicht, wenn ständig mit der Sanktionskeule gedroht wird“, sagte Pothmer. Sie wandte sich aber auch gegen eine Abschaffung der Sanktionen, wie sie etwa Linken-Parteichefin Katja Kipping fordert. „Dadurch wird kein Arbeitsloser wieder einen Job finden“, sagte Pothmer. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, Vertreterin des linken Flügels, sprach sich für ein „Sanktionsmoratorium“ aus.

BA-Vorstand: Hartz IV ist "kaum noch zu durchschauen"

Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, räumte in der „Passauer Neuen Presse“ ein, dass das Hartz-IV-Gesetz komplex und „kaum noch zu durchschauen“ sei. „Wenn ich etwas ändern oder mir etwas wünschen könnte, wäre es, der ursprünglichen Idee der Grundsicherung zu folgen, und die vielen Einzelleistungen zu Pauschalen zusammenzuführen. Wir neigen in Deutschland dazu, jedem Einzelfall gerecht werden zu wollen, alles bis ins Detail zu regeln.“ Der Deutsche Richterbund (DRB) verlangte eine bessere personelle Ausstattung der Gerichte. „Die vorhandenen Richterinnen und Richter reichen bei weitem nicht aus, um sämtliche Verfahren zügig zu bearbeiten“, sagte DRB-Präsidiumsmitglied Bernhard Joachim Scholz der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Insgesamt fehlten in Deutschland etwa 2000 Richter und Staatsanwälte, davon viele Richter bei den Sozialgerichten.

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