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Politik: Hinter den Linden: Lückglat

Fremde Länder, fremde Sitten. So könnte man einen Brauch katalogisieren, von dem uns nun Kunde aus dem Reich der Mitte erreicht.

Fremde Länder, fremde Sitten. So könnte man einen Brauch katalogisieren, von dem uns nun Kunde aus dem Reich der Mitte erreicht. Dem Chinesen beliebt es, seinen Volksvertretern zuweilen eine kleine Packung mit Tabletten zu schicken. Irgendwie hat sich diese Sitte eingebürgert, und sie soll, so die Kunde, epidemische Ausmaße erreicht haben. Jedenfalls drang die Kenntnis der volksrepublikanischen Tablettenverschickung an die Mächtigen und Einflussreichen in der KP auch ans Ohr eines deutschen Regierungsvertreters, der zunächst versucht war, die Kunde unter der Überschrift "Sagen und Legenden" abzubuchen. Doch immer öfter wurde ihm berichtet, dass der Chinese seinem Politiker tatsächlich Tabletten schicke.

Der Deutsche griff sich ein Herz und fragte einen der Wichtigen in China, was es denn mit dieser Mär auf sich habe. Ja ja, kam die Antwort, bergeweise bekommen wir Tabletten vom Volk. Ein ganzer Raum mit Bergen von Tabletten sei zusammengekommen, zu besichtigen in jedem zweiten Regierungsbau in Peking. Die Tabletten übrigens sind ein Politikum; die Sendehäufigkeit könnte als Maßstab für die Zufriedenheit im Reich der Mitte herhalten. Was in der Demokratie die Wahl ist, entspricht der Tablettenschickerei in China. Man könnte auch sagen: Ein eingeengter Volkswille gebiert gar wundersame Formen des alternativen Selbst-Ausdrucks. Denn die Tabletten enthalten Kalzium. Das dient der Stärkung des Knochengerüsts. Der Kalzium-verschickende Chinese will seine Postsendungen als dezente Aufforderung verstanden wissen, doch vor allem das Rückgrat zu stärken. Oder, schlicht: eines zu haben.

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