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Politik: „Holen Sie das Geld aus der Synagoge“

In Paris hat eine Bande einen jungen Mann entführt und ermordet – möglicherweise, weil er Jude war

Ilan Halimi ahnte nicht, was ihm bevorstand, als er sich Ende Januar zu einem Rendezvous mit einer jungen Frau begab. Die Unbekannte hatte ihn in seinem Telefongeschäft in Paris in ein Gespräch verwickelt, das sich verheißungsvoll anließ. Doch statt eines Flirts sollte der 23-Jährige die Hölle erleben. Er wurde entführt, erpresst, misshandelt und nach dreiwöchiger Gefangenschaft grausam ermordet.

Die Tat beschäftigte die französische Öffentlichkeit zunächst als ein besonders gemeines Verbrechen. Die jüngsten Enthüllungen lassen sie in einem anderen Licht erscheinen. Die Kidnapper hatten, wie jetzt bekannt wurde, es auf Halimi abgesehen, weil er Jude war und sie darauf setzten, dass die jüdische Gemeinde für ihn zahlen würde. „Sie sind Jude, holen Sie das Geld aus der Synagoge“, soll einer der Entführer den Angehörigen am Telefon gesagt haben.

Die zuständige Untersuchungsrichterin erweiterte die bisher wegen Entführung, Erpressung, Körperverletzung und Mord geführten Ermittlungen auf den Verdacht eines rassistischen Verbrechens. Zehn der vermutlich 13 Täter im Alter von 18 bis 32 Jahren befinden sich inzwischen in Haft. Die Polizei war ihnen vergangene Woche auf die Spur gekommen, nachdem sich die junge Frau, die Halimi in die Falle gelockt hatte, nach dem Fund der in einen Plastiksack gehüllten und von zahlreichen Stich- und Brandwunden entstellten Leiche in einem südlichen Vorort von Paris von selbst gestellt hatte. Der Anführer der „barbarischen Bande“, wie sie sich selbst nannte, Youssouf F. und zwei Frauen, die bei anderen – allerdings fehlgeschlagenen – Entführungsversuchen als Lockvogel eingesetzt waren, sind flüchtig.

Die Möglichkeit, dass Juden wegen ihrer vermeintlichen Zahlungsfähigkeit einer besonderen Gefährdung durch Verbrecher ausgesetzt sein könnten, hat die jüdische Gemeinde, die Politiker und die Öffentlichkeit aufs Höchste alarmiert. Von einem „unsäglichen Akt der Barbarei“ sprach Innenminister Nicolas Sarkozy. Premierminister Dominique de Villepin versprach beim jährlichen Treffen der Regierung mit dem Rat der jüdischen Institutionen „volle Aufklärung“, bemühte sich aber, die Empörung unter Hinweis auf den Rückgang antijüdischer Taten zu dämpfen. Im Vergleich zu 2004 sei die Zahl von Beleidigungen, Tätlichkeiten und anderen Übergriffen gegen Juden und jüdische Einrichtungen im vergangenen Jahr um die Hälfte zurückgegangen. Die Zurückhaltung des Premiers erklärt sich möglicherweise durch die Absicht, keine Kontroverse zwischen Juden und Muslimen aufkommen zu lassen. Einige der Täter sollen Muslime sein.

Für viele Juden steht der antijüdische Hintergrund des Verbrechens jedoch fest. „Wenn Ilan nicht Jude gewesen wäre, hätten sie ihn nicht getötet“, sagte seine Mutter der israelischen Zeitung „Haaretz“. Auch die anderen fehlgeschlagen Entführungsversuche hätten sich gegen Juden gerichtet. Hinweise auf den rassistischen Charakter der Taten seien von der Polizei vernachlässigt worden.

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