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Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe (v. l. n. r.), aufgenommen vermutlich 2009.

© dpa

102. Tag im NSU-Prozess: Ilona Mundlos schenkte ihrem Sohn die erste Bomberjacke

Am 102. Verhandlungstag steht Ilona Mundlos im Zeugenstand. Ausführlich berichtet sie vom Leben der Familie, wie ihr Sohn in die rechte Szene abdriftete und dem Tag an dem er wegging - nur zu den Morden sagt sie nichts.

Von Frank Jansen

Sie redet hastig, die Finger mit den rosa lackierten Nägeln trommeln auf die Tischplatte. „Beate hat mich angerufen früh um acht Uhr“, sagt Ilona Mundlos. Es sei „etwas Schlimmes passiert, dass der Uwe tot ist. Ich fragte, was ist passiert? Sie sagte, das mit Eisenach. Ich fragte: Was ist mit Eisenach? Sie sagte: Machen Sie den Fernseher an.“ Die große, 63 Jahre alte Frau hält kurz inne. „Sie hat gesagt, die haben sich in die Luft gesprengt.“

Im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts ist es am Donnerstag im NSU-Prozess wieder einmal ganz still. Es ist der 102. Verhandlungstag, die Mutter des NSU-Mörders Uwe Mundlos sagt als Zeugin aus. In den Monaten zuvor sind bereits ihr Ehemann und die Eltern Böhnhardt aufgetreten. Zschäpes Mutter auch, sie wollte aber nicht reden. Ilona Mundlos hingegen berichtet, beinahe atemlos wie eine Radioreporterin, von ihrer Familie und ihrem Leben. Und von dem Morgen des 5. November 2011. Als sie am Telefon in ihrer Wohnung in Jena erfuhr, dass ihr Sohn nicht mehr lebt. Von dem sie fast 14 Jahre nichts mehr gehört hatte, nachdem er im Januar 1998 mit Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe untergetaucht war.

„Ich habe danach das Fernsehen angemacht“, sagt Ilona Mundlos, „da kam es schon in den Nachrichten, das Bild mit dem Wohnmobil halt“. Am Tag vor Zschäpes Anruf hatte die Polizei in einem brennenden Caravan im thüringischen Eisenach die Leichen der beiden Uwes gefunden. Die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ war nach zehn Morden, drei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen am Ende.

Mundlos und Böhnhardt hatten in Eisenach eine Filiale der Sparkasse beraubt und sich, wie meist bei ihren Verbrechen, in einem gemieteten Wohnmobil versteckt. Doch diesmal kam ihnen die Polizei auf die Spur. Und die beiden Neonazis gaben auf, als der erste Streifenwagen kam. Mundlos, so rekonstruierten es die Ermittler, erschoss Böhnhardt, zündete das Wohnmobil an und hielt sich dann die Pumpgun unter das Kinn. Stunden später steckte Zschäpe in Zwickau die Wohnung in Brand, in der die drei gelebt hatten. Am Tag danach rief sie bei den Eltern Böhnhardt an, dann sprach sie mit Mutter Mundlos.

Zschäpe sagte ihr, sie melde sich, „weil der Uwe euch sehr lieb gehabt hat und es war ihm wichtig, dass ihr das erfahrt“. So hat es Ilona Mundlos der Polizei gesagt. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ihr das Zitat vorliest, erinnert sie sich wieder an jedes Wort. Sie sagt dann nur halblaut „ja“.

Mutter Mundlos: „Als Uwe sagte, zehn Jahre, da habe ich geschluckt“

Vielleicht ahnt Ilona Mundlos in diesem Moment, dass sie ihren Sohn schon früher verloren hatte, schon lange bevor er im Januar 1998 als Neonazi in den Untergrund ging. So wie die Frau redet, erscheint Uwe in ihrem Leben fast wie eine Randfigur. Mit der sich eher Vater Siegfried befasste, ein Informatik-Professor. Den seine Frau als einfühlsamer bei Uwe, aber auch als „ein bisschen sehr aufgeregt und unbeherrscht“ schildert.

Sie habe 30 Jahre in einer Kaufhalle gearbeitet, sagt Ilona Mundlos.

Und fügt hinzu, „mit der Kaufhalle war ich verheiratet“. Als Uwe am 28. Januar 1998 plötzlich bei ihr auf der Arbeit vorbeikam, hatte sie kaum Zeit für ihn. Obwohl er mitteilte, dass er für zehn Jahre verschwinden werde. Weil das die Zeit sei, in der die Sache mit der Garage verjährt sei. Die Polizei hatte zwei Tage zuvor in einer von Zschäpe gemieteten Garage in Jena eine Werkstatt zum Bau von Bomben entdeckt.

„Als Uwe sagte, zehn Jahre, da habe ich geschluckt“. Und es „einfach so genommen, mir kamen die Tränen, dann war Ruhe, er ist gegangen“. Sie sah Uwe nie mehr. Selbst bei ihrem 50. Geburtstag habe er sich nicht gemeldet, sagt sie. Es klingt ein bisschen empört.

Obwohl Ilona Mundlos für ihren Uwe wenig Zeit hatte, wirkt sie nicht herzlos. Eher überfordert. Auch jetzt noch, im Vorruhestand. Der ältere Sohn Robert ist schwer behindert und sitzt im Rollstuhl. Mundlos machte in der Kaufhalle immer die Spätschicht, um sich vormittags um „Robbie“ zu kümmern. „Ich habe durch meinen behinderten Sohn mächtig zu tun, der braucht mich voll“, sagt Ilona Mundlos und wendet sich direkt an Richter Götzl. „Das dürfen Sie nicht vergessen, ich bin voll eingespannt, ich hab’s bisher gut geschafft alles“. Die Stimme rattert im thüringischen Dialekt. Im Stakkato geht fast unter, dass Ilona Mundlos kaum mitbekam, wie ihr Uwe in den Rechtsextremismus abdriftete.

Die erste Bomberjacke hat seine Mutter ihm geschenkt

Die erste Bomberjacke, Mundlos nennt sie „Fliegerjacke“, hat sie ihm sogar selbst gekauft. Und die schwarz-rot-goldenen Hosenträger, die Sohn Uwe demonstrativ in einem Jenaer Jugendclub trug. Und nicht die Mutter war es, sondern Beate Zschäpe, mit Uwe bis 1995 liiert, die von ihm verlangte, die Schnürstiefel auszuziehen, bevor es in eine Disko ging. Sie schritt jedoch ein, als der Sohn ein Hemd und eine Hose braun färbte. „Ich hab’ gesagt, Uwe, das will ich nie wieder sehen.“  Doch als der Sohn ihr erzählte, er sei in Uniform in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald gewesen, „habe ich nicht nachgefragt“.

Im November 1996 waren da Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in SA-ähnlicher Kluft aufgetreten. Die Gedenkstätte verhängte ein Hausverbot. Diese Geschichte nennt Ilona Mundlos „was Schlimmes“. Aber sie hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Es war denn auch Vater Siegfried, der mit Uwe reden musste, als der sich eine kleine Schablone bastelte, die wie Adolf Hitler aussah. Die Schablone, erinnert sich Ilona Mundlos, „hat dem Uwe gefallen“.

So bestätigt die Frau, was auch die Aussagen von Siegfried Mundlos und den Eltern Böhnhardt im NSU-Prozess offenbarten: sie waren hilflos, als ihre Kinder in den Sog der rechtsextremen Szene gerieten. Obwohl beide Familien offenbar in den scheidungsfreudigen DDR-Zeiten wie auch in den unruhigen 1990er Jahren intakt blieben. Die Ohnmacht der Eltern lässt schon ein Wort ahnen, dass Ilona Mundlos am Donnerstag mehrmals verwendet. Ihr Sohn seit 1998 „weggegangen“, sagt sie. Als sei Uwe nur ausgewandert.

Zu den Morden sagt Ilona Mundlos nichts. Und kein Wort zu dem Leid, dass ihr Sohn über die Hinterbliebenen gebracht hat. Aber sie stilisiert ihn auch nicht zum Opfer des Umbruchs im Osten. So hatte Mutter Böhnhardt im Prozess ihren Uwe dargestellt. Ilona Mundlos sagt, „der Uwe hat mir nie Schwierigkeiten gemacht“. Schule, Lehre, dann ein Anlauf zum Abitur, „damit wäre er fast fertig gewesen, wo er weggegangen ist“. Und das Verhältnis zu seinem schwerbehinderten Bruder „war sehr liebevoll“. Als Beate Zschäpe am 5. November 2011 angerufen hatte, habe Robert nicht glauben wollen, dass Uwe tot ist.

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