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Politik: In der Hoffnung auf Vertrauen

Von Stephan-Andreas Casdorff

Vertrauen? Wo soll das herkommen? Wie schön für die Vorsitzenden der großen Parteien, dass sie sagen, nun hätten sie Vertrauen zueinander gefasst. Aber für uns, für den Souverän, heißt das noch nichts. Es wird schwierig werden, wofür und für uns. Denn wir sollen von heute auf morgen denen vertrauen, die einen Koalitionsvertrag vorstellen, der so weit von dem entfernt ist, für das sie vor acht Wochen noch unsere Stimme haben wollten. Und zwar ganz unbedingt, ohne jeden Kompromiss, weil der nur von Übel sei. So lauteten ihre Reden. Gestern. Heute lauten sie ganz anders, und wir sollen es wieder glauben. Und was ist morgen?

Vertrauen. Es müsste etwas geben, das den Glauben an die zurückgibt, die viel davon verloren haben; und das haben sie, wie die Wahl gezeigt hat. Die großen Parteien sind kleiner geworden, nicht einmal Pyrrhus würde von einem Sieg sprechen. Und nicht einmal die Fraktionen reden von einem großen Erfolg in den Koalitionsverhandlungen; sie sagen es bloß nicht so offen. Nur eines ist schon jetzt klar: Wer von den Bürgern für weniger staatliche Leistungen höhere Steuern verlangt, der muss gut erklären können, warum das notwendig ist – auch wenn es nicht sofort besser wird. Wie es seit Jahren schon gesagt wird. Allen voran die beiden Designierten, Angela Merkel und Matthias Platzeck, müssen erklären können, warum es im Grundsatz auf einem Weg weitergeht, der empirisch betrachtet über Jahre keinen Erfolg gehabt hat.

Und wir wollen vertrauen! Hoffen wir also, dass es bei den Ingenieuren der Koalition anders ist als bei dem russischen Gedächtniskünstler, der die ganze Seite eines Buchs lesen und sofort wiedergeben konnte, vorwärts und rückwärts, aber große Schwierigkeiten hatte, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Und wir hoffen, dass sich das Konzept am Ende rechnet, dass es mehr wird als die Summe von Einzelmaßnahmen, die jetzt vereinbart und als Chance für Deutschland dargestellt werden.

Erneuerung durch eine veränderte Versuchsanordnung, das gehört zum pragmatischen Neuaufbau. Diese Chance haben die Koalitionäre in spe, die unsere Hoffnung nicht enttäuschen dürfen. Noch. Wenn ihnen ungeachtet der Zweifel in ihren Parteien das Vertrauen ausgesprochen worden ist, dann kommt doch die Zeit der großen Ehrlichkeit. Die sie auch versprechen. Nicht heute, nicht morgen, aber in absehbarer Zeit, in den Jahren ihrer Koalition. Wer, wenn nicht sie, kann Fehlentwicklungen korrigieren, nur schon in der Arbeitsmarktpolitik, um mehr sozialversicherungspflichtige Einkommen zu schaffen. Kann umsteuern bei den Sozialversicherungen und sich an dem Leitsatz orientieren „Über Bismarck hinaus, aber nicht zu Bismarck zurück“.

Sozialer Friede ist ein Standortfaktor. Das Sozialstaatsgebot ist kein Anhängsel der Verfassung, sondern Kernbestand unserer gesellschaftlichen Ordnung. Um diese Ordnung geht es. Wird die Arbeitslosigkeit nicht beherrscht, wird sie beherrschend, und eines nicht so fernen Tages brennt es bei uns wie jetzt in Frankreich.

Wenn die große Koalition ihre Ehrlichkeit bewiesen hat, dann kann sie darauf bauen, dass aus unserer Hoffnung Vertrauen wird. Denn darauf kommt es letzten Endes an. Nur unser Vertrauen in die Regierung und die Wirtschaft kann das schaffen, was sie wollen: Deutschland nach vorne bringen.

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