Politik: In Sorge um die Saison
Nach der Katastrophe auf Rügen rüstet sich auch der benachbarte Darß gegen die Geflügelpest
Rotweißes Flatterband spannt sich über den Sandweg quer über den Deich. „Seuchenobjekt – Betreten verboten“ mahnt daneben ein weißes Provisorium. Vergangene Nacht sei die Feuerwehr „durch den Ort gedonnert“, berichtet Horst Sonnenburg, der mit Hund Robbie täglich hier spazieren geht. An den Ortsschildern von Prerow auf der Ostsee-Halbinsel Fischland-Darß-Zingst brachten die freiwilligen Brandbekämpfer Warnungen an. Rund ein Kilometer des feinen, weißen Sandstrandes ist gesperrt.
Die Vogelgrippe hat das Festland erreicht. Eine mit dem H5N1-Erreger infizierte tote Silbermöwe hat Nordvorpommerns Landrat Wolfhard Molkentin gereicht, Katastrophenalarm auszulösen. Rentner Sonnenburg findet das richtig. Wer so lange wartet, wie Rügens Landrätin Kerstin Kassner, habe selbst Schuld. Drüben auf der Nachbarinsel mussten erst 79 grippekranke Vögel geborgen werden, bevor Kassner einräumte, dass ihr Landkreis allein die Lage nicht in den Griff bekommen wird. Nun sammeln dort über 300 Soldaten tote Vögel ein, helfen beim Desinfizieren und Absperren, wollen mit Kampfjets Luftaufnahmen machen, um Kadaver aufzuspüren.
In Prerow werden die Truppen noch nicht gebraucht. Selbstbewusst ist die Feuerwehr im Einsatz. Kreisbrandmeister Gerd Scharmberg sagt, seine Leute seien vorerst „hinreichend ausgerüstet“. Mit einer Desinfektionsspritze reinigen diese gerade auf einem Parkplatz ihre Schutzkleidung. Über 100 tote Vögel seien in der vergangenen Woche gesammelt worden, darunter auch die infizierte Silbermöwe. Heute seien noch einmal zwei Kadaver hinzugekommen. „Schon total skelettiert.“ Seuchenwannen an den Zugangsstraßen, wie sie auf dem Rügendamm bereits für kilometerlange Staus sorgen, sind noch nicht aufgestellt. liegen noch im Feuerwehrdepot. „Man weiß ja nicht, was noch kommt“ , sagt Scharmberg.
Das weiß auch Helga Konow vom Nationalparkamt Vorpommersche Boddenlandschaft im zehn Kilometer entfernten Born nicht genau. Die tote Möwe könnte an infiziertem Schwankadaver vor Rügen angesteckt haben. Muss sie aber nicht. Für eine Möwe ist der Flug vom Darß nach Rügen jedenfalls keine Entfernung. Und an Landkreisgrenzen hält sie sich sowieso nicht. Brisanter ist für Konow die Frage, wie nahe die erwarteten Zugvögel den kranken Schwänen in Rügens Nordwesten kommen werden.
Schon im März wird es auf den weiten Wiesen des Darß und auf den kleinen geschützten flachen Inselchen im Bodden zwischen Halbinsel und Festland von Grau- und Nonnengänsen wimmeln. In vier Wochen werden dann wieder bis zu 60 000 Kraniche auf ihrem Weg von Spanien und Frankreich zu ihren Brutplätzen in Skandinavien Station machen. Der Zug der Kraniche, die jeden Frühling und jeden Herbst in kreischenden Schwärmen über dem Bodden einschweben, ist eine der wichtigsten Touristenattraktionen der Halbinsel. Niemand weiß, welche Viren Kraniche und Gänse mitbringen. Wenn sie jedoch mit Rügens Wildschwänen in Kontakt kommen, die Schwerins Agrarminister Till Backhaus für „durchgehend infiziert“ hält, könnte der Darß zum Viren-Drehkreuz werden. Für Backhaus hat deshalb die Tötung und der Abtransport aller infizierter Tiere und Kadaver „höchste Priorität“.
Gaetano Leotta betreibt seit 13 Jahren eine Pizzeria in Zingst. Er ist froh, dass die Behörden im Landkreis viel schneller reagiert haben als jene auf der Nachbarinsel Rügen. „Ein toter Vogel und schon abgesperrt. Das ist gut.“ Nicht ausmalen möchte er sich den Fall, wenn zu Saisonbeginn nicht nur grippetote Vögel, sondern ein erkrankter Einheimischer für Schlagzeilen sorgen würde. „Gastwirte, Hotelliers, alle könnten ihre Koffer packen. Wir leben vom Tourismus hier.“ Und gegen ausbleibende Gäste gibt es keine Versicherung.
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