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Gegen das Vergessen. Feministinnen erinnerten 2019 in Paris auf drastische Weise an die vielen Opfer von Femiziden

© Lucas Barioulet/AFP

Exklusiv

Innenminister uneins über Ahndung von Frauenmorden: SPD für schärferes Strafrecht bei Femiziden

Gezielte Mord an Frauen werden nur wenig beachtet und offenbar nur selten angemessen geahndet. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius will das ändern.

Von Frank Jansen

Das Verbrechen war an Brutalität kaum zu überbieten. Ein Mann stach in der Wohnung auf seine Ehefrau ein. Als sie durch das Fenster auf das Vordach flüchtete, sprang er hinterher, stach weiter und warf die Frau hinunter. Unten schlug er ihren Kopf auf die Treppenstufen. Die Frau starb am Tatort. Der Polizei bot sich ein grausiges Bild.

Das Bundeskriminalamt bezeichnet den Fall vom Mai 2020 aus Cottbus als Tötungsdelikt mit religiöser Ideologie. Es gab Indizien, dass der Mann, der Täter war Afghane, seine Frau tötete, weil sie ihn verlassen und einen westlichen Lebensstil annehmen wollte. Das wäre das Mordmerkmal des „niedrigen Beweggrunds“ und Anlass für lebenslange Haft. Doch das Landgericht Cottbus verurteilte den Mann zu 13 Jahren wegen Totschlags.

Die Richter sahen das „traditionelle Rollenverständnis“ des Mannes als ein Tatmotiv, hielten aber die Umstände des Verbrechens für diffus. Ein Urteil, das offenbar das Phänomen der Femizide, der gezielten Tötung von Frauen durch Männer, welcher Herkunft auch immer, ignoriert.

Jahr für Jahr sterben in Deutschland und weltweit Frauen, weil sie ihre Männer verlassen wollen oder sich die Täter aus anderen Gründen zu Tötung berechtigt fühlen. Polizeizahlen für die Bundesrepublik gibt es nicht. Auf der Website "One Billion Rising" ist allein für 2021 von 72 getöteten Frauen die Rede.

Solche Verbrechen werden nun Thema beim Treffen der Innenministerkonferenz (IMK) kommende Woche im badischen Ort Rust. In Punkt 24 geht es um „Bekämpfung von gezielt gegen Frauen gerichtete Straftaten“. Doch die IMK ist uneinig. Die SPD will ein schärferes Strafrecht, die Union möchte erst mehr Informationen einholen. Aus Sicht des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, Sprecher der sozialdemokratischen Ressortchefs, besteht jedoch Handlungsbedarf.

CDU und CSU wollen erst mehr Informationen einholen

„Der Hintergrund solcher Taten ist fast immer ein minderwertiges Frauenbild der Täter“, sagte Pistorius dem Tagesspiegel. „Wenn die Frau nicht mehr tut, was dem Lebensentwurf des Mannes entspricht und ihn in seinem Ehrgefühl und seinem Stolz verletzt, verliert sie in den Augen der Mörder das Recht, weiterleben zu dürfen.“ Pistorius fordert, „in derart gelagerten Fällen muss zukünftig klar sein, dass das eindeutig als niedriger Beweggrund definiert ist und eine Verurteilung wegen Mordes erfolgen kann“.

Für den Minister ist eine Änderung des Strafgesetzbuches notwendig. In Paragraf 46, es geht um „Grundsätze der Strafzumessung“, sollten nach Meinung von Pistorius „auch frauenfeindliche Beweggründe explizit als strafverschärfende Umstände genannt werden“. Bislang sind nur „rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende“ Motive aufgeführt.

Von schärferem Recht ist im Beschlussvorschlag der Minister von CDU und CSU keine Rede. Die Union ist aber mit der SPD einig, dass die polizeiliche Erfassung solcher frauenfeindlichen Taten überprüft werden muss. Die Daten aus der 2020 im Bereich Hasskriminalität eingeführten Rubrik „Geschlecht/sexuelle Identität“ reichen offenbar nicht.

Der Fall Cottbus fehlt jedenfalls. Das gilt auch für die Tötung einer Frau durch ihren afghanischen Mann im Juli 2020 im niedersächsischen Oldenburg, obwohl das Landgericht den Täter wegen Mordes verurteilte und auf das „traditionelle Wertebild“ verwies. Dennoch hat die Polizei den Fall noch nicht einmal als religiös motiviert eingestuft.

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Kontroverse auch beim Thema Antisemitismus

Eine Debatte über Polizeizahlen wird es beim Treffen der IMK vermutlich auch zum Thema Antisemitismus geben. Die Minister von CDU und CSU sind unzufrieden mit der bisherigen Praxis, dass die Polizei judenfeindliche Delikte ganz überwiegend rechten Tätern zuordnet. Daran gibt es schon länger Kritik, auch aus der Zivilgesellschaft. Nach

Ansicht der Recherche und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) sind viele Straftaten nicht einem bestimmten politischen Spektrum zuzuordnen. Ein geschmiertes Hakenkreuz reiche nicht automatisch für die Bewertung als rechtsextremes Delikt. Die Innenminister der Union wollen nun die polizeiliche Erfassungs antisemitischer Taten stärker differenzieren. Die Ressortchefs der SPD hingegen halten das seit 2001 geltende Erfassungssystem „Politisch motivierte Kriminalität (PMK)“ für differenziert genug, da es dort nicht nur um rechte Motive geht.

Weitere Themen in Rust sind unter anderem „hybride Bedrohungen“ aus anderen Staaten, auch mit Blick auf die Wahlen, und Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Da liegen Union und SPD schon lange im Streit.

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