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Ein Angestellter sitzt nach Einbruch der Dunkelheit noch in einem Büro am Schreibtisch und arbeitet (Archiv)

© dpa/Frank Rumpenhorst

Kampfansage an „Flatrate-Arbeit“: Das EuGH-Urteil verändert die Arbeitswelt

Das Urteil zur Erfassung der Arbeitszeit ist ein Wegweiser: Das Tagwerk darf nicht überfordern oder krank machen. Dafür ist es zu wichtig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Nicht jedes Urteil verändert die Welt – dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs aber verändert die Arbeitswelt. Mindestens die, muss man sagen, wenn nicht noch mehr, denn die Richter touchieren auch grundsätzliche, ja Sinnfragen. Denn die jetzt notwendige Diskussion, wie das Erfassen gesetzlich und technisch geregelt werden kann, wird in eine gesellschaftliche Debatte münden müssen. Und gar so einfach wird die nicht.

Das Grundrecht jedes Arbeitnehmers darauf, dass die Höchstarbeitszeit begrenzt ist, es tägliche und wöchentliche Ruhezeiten gibt; die Betonung des Gerichts, die EU-Staaten  müssten dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer dieses Recht auch wirklich wahrnehmen können; die Forderung nach einer systematischen Erfassung aller Arbeitsstunden – da geht’s ums Ganze. Nämlich darum, wie wir heute leben und arbeiten (wollen). Und wie das in Zukunft ge- und bewertet werden kann.

Ja, richtig, der „Flatrate“-Arbeit, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das nennt, wird der Kampf angesagt. Die Zahl der unbezahlten Überstunden in Deutschland, und nicht allein hier, ist hoch. Auch kann man das im Sinne der Zuspitzung „Lohn- und Zeitdiebstahl“ nennen. Doch bleibt die Herausforderung, das mit der „New Work“-Entwicklung zu vereinbaren, bei der die Frauen und Männer ihre Arbeitszeiten anders, neu einteilen, zu Hause arbeiten, telefonieren, lesen.

Das Urteil ist weltfremd! Gerade in unserer Zeit, wo die Arbeit immer flexibler gestaltet wird, sei es bezüglich Arbeitsort oder auch Arbeitszeitmanagement, da ist in vielen Fällen eine lückenlose Registrierung der Arbeitszeit kaum mit vertretbarem Aufwand zu leisten.

schreibt NutzerIn Nante2014

Wo fängt da Arbeitszeit an, wo hört sie auf? Wo beginnen Standby-Modus und Entgrenzung, und wo will der Arbeitnehmer das womöglich selbst, weil er respektive sie sich durch Arbeit selbst verwirklicht, sich Anerkennung verschafft, ein sinnvolles Leben? Wie das ist, wenn der Mensch sich in Arbeit wiederfindet, ist bei Oswald von Nell-Breuning eindrucksvoll nachzulesen, dem Nestor der katholischen Soziallehre.

„Arbeit ist die Quelle allen Reichtums"

Oder auch, Gott bewahre, bei Friedrich Engels. „Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. Sie ist dies – neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichtum verwandelt. Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.“

Hier fließt vieles ineinander, das mitzudenken ist. Es erinnert an Salvador Dalis Gemälde mit den Uhren. Heute ist nicht mehr allzu vieles in klaren Produktionsgängen abgeschlossen, das „Tagwerk“ ist sehr divers geworden. Sonst wäre die Regelung ja einfach. Um es für den Anfang einfacher zu machen: Die Erfassung der Arbeitszeit ist ein Ansatz, deshalb wichtig, um sie überhaupt noch einmal insgesamt zu prüfen. Und Selbstbeschränkung in der Anforderung – das ist für beide Seiten richtig. Arbeit darf keine institutionalisierte Überforderung werden. Sie darf nicht krank machen, nicht süchtig außerdem.

Ob dies das Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeutet? Das gehört aufgenommen in den Prüfkatalog der gemeinschaftlich zu vereinbarenden gesetzlichen Parameter. Wahrscheinlich wird es dann nicht zuletzt die Verständigung auf die Technik der Erfassung sein, die das Vertrauen erhalten muss. Das beidseitige.

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