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Klägerin Vera Egenberger im Verhandlungssaal des Bundesarbeitsgerichtes

© dpa/Bodo Schackow

Update

Klage wegen Diskriminierung: Bundesarbeitsgericht setzt neue Regeln für kirchliches Arbeitsrecht

Weil sie keiner Kirche angehörte, wurde die Bewerbung einer Sozialpädagogin von der Diakonie abgelehnt. Das Bundesarbeitsgericht hat nun ein Grundsatzurteil gefällt.

Kirchliche Arbeitgeber dürfen bei Stellenausschreibungen künftig nicht mehr pauschal auf eine Religionszugehörigkeit von Bewerbern pochen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht. Es setzte in einem Grundsatzurteil Regeln, wann eine Kirchenmitgliedschaft verlangt werden kann. Mit seinem Urteil veränderten die höchsten Arbeitsrichter die bisherige Rechtsprechung zu diesem Aspekt des kirchlichen Arbeitsrechts. Ihm ging eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im April 2018 voraus.

Das Urteil hat Einfluss auf jährlich tausende Stellenausschreibungen unter anderem bei Diakonie und Caritas, die Arbeitgeber für mehr als eine Million Menschen in Deutschland sind. Die Kirchen haben ein vom Grundgesetz verbrieftes Selbstbestimmungsrecht, das auch für ihre Rolle als Arbeitgeber gilt. In der Regel verlangen sie bisher unter Verweis auf ihren kirchlichen Auftrag von ihren Angestellten eine Religionszugehörigkeit.

Klägerin warf Diakonie Diskriminierung vor

In der Verhandlung ging es um den Fall einer abgelehnten Bewerberin auf eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE), der das Bundesarbeitsgericht nun eine Entschädigung in Höhe von rund 3.900 Euro zuerkannte. Das Werk habe die Bewerberin wegen ihrer fehlenden Kirchenzugehörigkeit ungerechtfertigterweise benachteiligt, urteilte das Gericht am Donnerstag in Erfurt unter Berufung auf das Europarecht.

Die konfessionslose Sozialpädagogin Vera Egenberger hatte sich beim EWDE um eine Referentenstelle beworben, die einen Bericht zur Umsetzung der Antirassismus-Konvention durch Deutschland erarbeiten sollte. In der Ausschreibung zu der Stelle hatte die Diakonie die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche vorausgesetzt. Nach ihrer Ablehnung klagte Egenberger wegen Diskriminierung aufgrund der Religion. Sie strebte eine Entschädigung in Höhe von mindestens rund 10.000 Euro an.

In der Verhandlung des achten Senats erklärten die Diakonie-Vertreter, im vorliegenden Fall sei die Kirchenzugehörigkeit des Stelleninhabers unverzichtbar gewesen, um die Position der Kirche bei dem Antirassismusprojekt glaubwürdig zu vertreten, an dem auch nichtkirchliche Träger beteiligt waren. Vertreter der Klägerin erklärten dagegen, für die Aufgabe sei keine Konfessionszugehörigkeit erforderlich gewesen. Im Rahmen des Projekts wurde auch der evangelischen Kirche bei ihrer Einstellungspraxis rassistisches Verhalten vorgeworfen.

Die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing erklärte, in solchen Fällen dürften Bewerber nur dann wegen ihrer Religion benachteiligt werden, wenn die Kirchenzugehörigkeit eine berechtigte Anforderung sei. Daran habe das Gericht im vorliegenden Fall „erhebliche Zweifel“. Es habe keine Gefahr bestanden, dass die Bewerberin das Ethos der Kirche beeinträchtigt hätte. Sie hätte bei ihrer Aufgabe nicht unabhängig handeln können.

Verdi begrüßt das Urteil

Das Bundesarbeitsgericht hatte den Fall bereits 2016 verhandelt. Es legte den Fall dem EuGH vor, weil Europarecht betroffen ist. Der Gerichtshof in Luxemburg bestätigte im April, dass die Kirchen grundsätzlich berechtigt seien, Mitarbeiter nach Religionszugehörigkeit auszuwählen. Allerdings müssten nationale Gerichte die Einstellungskriterien für Jobbewerber auch bei Kirchen prüfen dürfen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßte das Erfurter Urteil. Dieses schaffe mehr Gerechtigkeit. „Gut, wenn bei verkündigungsfernen Tätigkeiten auch für kirchliche Arbeitgeber nur noch die Eignung und Qualifikation zählen darf und nicht mehr so etwas sehr Persönliches, wie der Glaube. Das hat das BAG jetzt bestätigt“, sagte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. „Wir fordern die Kirchen auf, die Zeichen der Zeit zu erkennen und endlich auch in ihren Betrieben weltliches Arbeitsrecht anzuwenden“, erklärte Bühler.

Diakonie schließt Gang vor Verfassungsgericht nicht aus

Diakonie und EKD reagierten hingegen enttäuscht auf das Urteil. „Dieses Urteil kann uns nicht zufriedenstellen“, sagte Diakonie-Präsident Lilie in Erfurt. Die Erfurter Entscheidung habe „das Zeug zum Grundsatzurteil“. Er rechne nun für die Diakonie mit erheblichen Konsequenzen. EKD und Diakonie werten das Urteil als „Abweichung zur langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“. Sie wollen nun Begründung und Konsequenzen prüfen. Dazu gehöre auch die Prüfung, „ob gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Bundesverfassungsgericht angerufen wird.“ Vor einer Entscheidung, ob man gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vorgehe, werde jedoch das schriftliche Urteil abgewartet, sagte er.

„Bei der konkreten Stelle, auf die sich die Klägerin beworben hatte, war für uns wegen der Tätigkeit und Außenwirkung eine kirchliche Grundkompetenz unverzichtbar“, hieß es in einer Mitteilung Lilies. Zum Vorstellungsgespräch sei die Frau allerdings aus einem anderen Grund nicht eingeladen worden: Sie habe nicht den für die Einstellung vorausgesetzten Hochschulabschluss nachweisen können.

In einer Stellungnahme erklärten Diakonie und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Forderung nach einer Kirchenmitgliedschaft werde bei der Personalauswahl auch bisher nicht willkürlich gestellt. Unabhängig vom konkreten Fall hätten EKD und Diakonie ihr Arbeitsrecht weiterentwickelt.

Die Kirchen haben in Deutschland ein vom Grundgesetz verbrieftes Selbstbestimmungsrecht, das auch für ihre Rolle als Arbeitgeber gilt. In der Regel verlangen sie unter Verweis auf ihren kirchlichen Auftrag und ihr Ethos von ihren Angestellten die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche. Bei der Evangelischen Kirche und der Diakonie regelt das nach Angaben eines Sprechers eine Loyalitätsrichtlinie, die 2017 überarbeitet wurde.
(mes, dpa, KNA, epd)

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