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Das größte Missverständnis: es sei ohnehin zu spät für Klimaschutz.

© Christophe Gateau/dpa

Klimaschutz: Öko-Routine statt Öko-Diktatur

Wir sind beim Thema Klimaschutz in eine kollektive Angststarre verfallen. Damit sich das ändert, müssen zwei Irrtümer ausgeräumt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Todbringende Waldbrände in Kalifornien und verdorrende Getreidefelder in Europa, in der Arktis schwindet das Eis und der Rhein verkommt zum Rinnsal: Der Klimawandel, die größte menschengemachte Umweltveränderung, hat unwiderruflich begonnen. Die Folgen, so viel steht fest, werden viele Millionen Opfer fordern und die Ordnung der Welt grundlegend erschüttern.

Doch merkwürdig: Die Regierenden aller Länder, genauso wie ihre Bürger, machen weiter wie bisher. Die einen betreiben seit drei Jahrzehnten die Klimapolitik nach dem Prinzip „‚international verhandeln, national aufschieben“, so wie jetzt wieder bei der Klimakonferenz im polnischen Kattowitz. Man denke nur an die in Deutschland eisern verfolgte Regel „Autoschutz vor Klimaschutz“. Und passend dazu machen die Bürger keine Abstriche bei Flugreisen, dem Fleischkonsum oder ihren ins Groteske gewachsenen Blechpanzern, obwohl sie um die katastrophalen Konsequenzen wissen. Die Weltgesellschaft hat sich offenkundig im Zustand der kognitiven Dissonanz eingerichtet, geradeso, als gäbe es keinen Ausweg.

Die kollektive Angststarre beruht auf zwei Irrtümern

Doch diese kollektive Angststarre wird nicht mehr lange anhalten. Denn sie beruht auf zwei Irrtümern, die bald der besseren Erkenntnis weichen werden.

Das größte – vielleicht auch dümmste – Missverständnis lautet, es sei ohnehin zu spät, darum lohne sich alle Anstrengung für den Klimaschutz nicht. Dazu tragen nicht zuletzt die immer verzweifelter klingenden Warnungen der Wissenschaft bei, wie sie jüngst etwa Petteri Taalas, Chef der Weltorganisation für Meteorologie, zum Besten gab. „Die Chance, noch einzugreifen, ist fast vertan“, erklärte er zur Bekanntgabe des neuesten Rekords beim Bestand von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Richtig daran ist nur die Erkenntnis, dass sich der Wandel vermutlich nicht mehr auf jene 1,5 Grad globaler Erwärmung begrenzen lässt, die als tolerierbar gelten. Denn dafür müsste die Nutzung der planetaren Lufthülle als Abgashalde spätestens 2050 vollständig beendet sein.

"Die Bürger wollen das nicht", ist ein gerne vorgebrachter Einwand

Aber ganz gleich ob das gelingt oder nicht, die politische Maxime bleibt unverändert. Je heißer es wird, umso schlimmer werden die Folgen. Darum ist jede Senkung der Emissionen sinnvoll, um dieses Schlimmere zu verhindern. Nichtstun ist nur für jene eine Option, die sich ohnehin nach dem Ende der Zivilisation sehnen.

Das zweite große Missverständnis ist unter Politikern weitverbreitet. Demnach bietet die Demokratie keinen Raum für einen wirksamen Klimaschutz. „Die Bürger wollen das nicht“, ist ein gerne vorgebrachter Einwand. Das zeige nicht zuletzt deren Konsumverhalten. Aber diese Schlussfolgerung ist nur eine Ausrede für Führungsschwäche. Das hat Michael Kopatz, einer der klügsten Köpfe der Umweltwissenschaft, in seiner Studie zur „Öko-Routine“ überzeugend herausgearbeitet. Die Bereitschaft zum Wandel sei längst vorhanden, sagt er. Tatsächlich bestätigen Umfragen regelmäßig, dass gut zwei Drittel der Bürger in Europa mehr Klimaschutz wollen. Dass sie trotzdem im Alltag nicht anders handeln, entwerte das Bekenntnis keineswegs, sondern sei ganz normal, weiß Kopatz: „Verhalten ändert sich erst, wenn sich die Verhältnisse ändern.“ Das sei auch beim Rauchverbot in öffentlichen Räumen, bei der Anschnallpflicht oder der Mülltrennung nicht anders gewesen. Wenn erst jeder weiß, was eigentlich notwendig ist, werden auch die daraus folgenden Gesetze und Standards zur „Routine“ für jeden – und damit auch leichter zu ertragen.

Die bisherige Agonie wird in Panik umschlagen

Folglich harren die notwendigen Maßnahmen nur des politischen Mutes. Das beginnt beim Stopp für Start- und Landeslots auf den Flughäfen und die jährlich acht Milliarden Euro teuren Diesel-Subventionen und reicht bis zum Ende des Autobahnausbaus und der Massentierhaltung durch vorgeschriebene Auslaufräume für das arme Vieh.

Gewiss, eine solche Politik birgt politische Risiken. Die Betroffenen würden den Vorwurf erheben, eine Öko-Diktatur werde eingerichtet, die Debatte würde hart. Darum ist die zentrale Aufgabe aller künftigen Regierungen die Aufklärung darüber, dass Nichthandeln das weitaus größere Risiko heraufbeschwört. Es bedarf keiner Prophetie, um vorherzusagen, dass angesichts der zu erwartenden Zunahme der Wetterkatastrophen die bisherige Agonie irgendwann in eine weltweite Panik umschlagen wird. Wenn bis dahin nicht alles getan ist, um die Minderung der Emissionen zur alltäglichen Routine zu machen, dann wird sie kommen, die Öko-Diktatur. Und sie wird hart, ungerecht und undemokratisch sein.

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