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Hochwasser an einem Bahnübergang bei Nidderau in Hessen

© dpa/Boris Roessler

Klimawandel nicht so schlimm?: Wie man mit fragwürdigen Vergleichen das Wetter schönredet

Wenn man bei der Wetterstatistik die Bezugszahlen ändert, sieht alles freundlicher aus. Das hilft nur den Leugnern der Klimaveränderungen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast – dieser gerne zitierte Satz wird Winston Churchill zugeschrieben. Dass er ihn jemals gesagt hat, lässt sich nicht belegen. Er klingt aber so böse, wie unser Umgang mit Zahlen manchmal ist, wenn wir durch Manipulation der Zusammenhänge Entwicklungen verschleiern wollen. Oft wäre auch eine Fälschung einfach zu plump, wenn man die Wahrheit passend machen will.

Um bei der Statistik zu bleiben: Man muss einfach die Bezugszahlen anders wählen, um eine freundlicher wirkende Deutung zu erreichen. Mein Kollege Stefan Jacobs hat ein treffendes Beispiel dafür entdeckt, und darüber am vergangenen Montag im Tagesspiegel geschrieben.

Wenn bislang in Wetterberichten, Analysen oder auch Prognosen für zu erwartende meteorologische Ereignisse Begriffe wie „zu warm“ oder „zu feucht“ oder „zu trocken“ verwendet werden, beziehen sich die Schlussfolgerungen auf die Daten der Jahre 1961 bis 1990. Diese Dreißig-Jahre-Periode in der Betrachtungsweise basiert auf einer Vorgabe der WMO, der Welt-Organisation für Meteorologie. Alle unsere Besorgnisse über steigende Temperaturen, Trockenperioden im Frühjahr, Starkregenereignisse im Juli oder die Sonnenscheindauer werden an den durchschnittlichen Zahlen der Jahre 1961 bis 1990 gemessen.

Mit diesem Maßstab haben wir uns in den letzten Jahren gut orientieren können. Viele Menschen können die Statistik mit ihren eigenen Erfahrungen abgleichen. Schon wer 50 Jahre alt ist, hat persönliche Erinnerungen, die in diesen Bezugsraum hinein reichen. Aber die WMO hat beschlossen, dass künftig der Bezugsraum nicht mehr die Jahre von 1961 bis 1990, sondern die von 1991 bis 2020 sein sollen. Dahinter steckt kein willkürlicher Angriff auf die statistische Wahrheit, sondern ein eher technisches Kalkül: Die Bezugsgrößen werden lebensnäher, realistischer.

Der gewählte Ausschnitt macht's!

Der Nebeneffekt: Leugner der Klimaveränderungen haben plötzlich ganz passable Vergleichszahlen. Bezieht man die Werte der letzten Jahre, was zum Beispiel Sonnenscheindauer, Hitzeperioden oder Starkregenereignisse betrifft, nur noch auf den Zeitraum ab 1991, ist die Veränderung des Wetters gar nicht mehr so dramatisch.

Nur im Bezug auf die Periode von 1961 bis 1990 zum Beispiel ist die durchschnittliche Niederschlagsmenge im Juli von 53,1 auf 77 Liter gestiegen. Das ist ein dramatischer Anstieg. Schaut man sich aber nur die Regenfälle der letzten Jahre an, wirkt das alles nicht so schlimm.

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Gleiches lässt sich für die Durchschnittstemperaturen etwa im Juli oder August sagen. Nur wenn man die Dreißig-Jahres-Periode zwischen 1961 und 1990 als Vergleichsbasis heranzieht, kann man die deutliche Steigerung ablesen. Lässt man diese Phase außer Betracht, sieht alles nicht mehr so besorgniserregend aus. Bei der WMO stecken kaum böse Absichten hinter der Veränderung der Bezugspunkte.

Es war wohl eher eine Frage der Praktikabilität. Aber der Effekt ist katastrophal. Wer die mittelfristige Entwicklung über die letzten 60 Jahre, also die der besonders dynamischen weltweiten Industrialisierung, außer Acht lässt, erkennt die Brisanz des Geschehens nicht mehr. Das aber wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte – dass wir nicht mehr sehen, woher wir gekommen sind. Dann sind wir auch blind für das, was kommen könnte.

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