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Vertreter der afrikanischen Volksgruppen Herero und Nama klagten vergeblich in New York gegen die Bundesrepublik (Hier Archivbild von 2017)

© Johannes Schmitt-Tegge/dpa

Kolonialverbrechen des Kaiserreichs: Das Auswärtige Amt ist ungeeignet für die Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte

Prüfstein ist und bleibt der Umgang mit dem Völkermord an Herero und Nama. Doch der kommt bei einer Kolonialismus-Tagung des Amtes nicht vor. Ein Gastbeitrag.

Jürgen Zimmerer ist seit 2010 Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg und leitet seit 2014 die Forschungsstelle Hamburgs koloniales Erbe. Die vom Auswärtigen Amt mitorganisierte Konferenz „Colonialism as Shared History“ beginnt am 7. Oktober und ist unter www.shared-history.org im Livestream zu verfolgen.

Seit fünf Jahren verhandelt Deutschland mit Namibia über den kolonialen Völkermord, der im damaligen Deutsch-Südwestafrika von kaiserlichen Truppen verübt wurde. Seit zwei Jahren ist die Aufarbeitung des Kolonialismus deutsches Regierungsziel: Der Genozid an den Herero und Nama ist der Lackmustest für dessen Ernsthaftigkeit.

Wie kann es da eigentlich sein, dass in der ersten Tagung, die unter der Mitwirkung des Auswärtigen Amtes zum deutschen Kolonialismus stattfindet, Namibia keine Rolle spielt? Wie kann es sein, dass Staatsministerin Michelle Müntefering am Mittwoch mit „Colonialism as Shared History“ eine Tagung eröffnet, in der der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts nicht vorkommt, zumindest soweit dies dem Programm zu entnehmen ist?

Eine Tagung über Kolonialismus, mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes, ohne eine einzige Referentin aus Namibia, ohne ein Panel zu Deutsch-Südwestafrika, ohne einen Vortrag zum ersten deutschen Völkermord, ist ein Rückfall in eine Zeit, als bei Veranstaltungen mit staatlicher Förderung, insbesondere der des Auswärtigen Amtes, der Begriff „Genozid“ nicht verwendet werden durfte.

Und das, obwohl in den letzten Jahren wiederholt, wohl auch um Versäumnisse in den Verhandlungen zu kaschieren, der Wille zur kritischen Auseinandersetzung beschworen wurde.

Eines der heikelsten Themen nicht explizit im Programm

Man hätte daher erwartet, dass die Erörterung der historischen Umstände des Genozids, und auch seine Bewertung als solcher, im Mittelpunkt einer derartigen Tagung stehen würden, dass das Auswärtige Amt versuchen würde, wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln über eines der heikelsten Themen der deutschen Geschichts- und Gedächtnispolitik.

Allerdings hätte dies auch die Linse auf das bisherige Versagen der deutschen Außenpolitik gerichtet. All dies vermeidet die genannte Tagung! Deren Botschaft ist klar: Innerhalb der Geschichte des (deutschen) Kolonialismus ist die Geschichte Namibias, die Geschichte kolonialer Massengewalt, nicht so zentral. Wie praktisch!

Diese Ablenkung ist subtiler als noch vor Jahren, als sich das Auswärtige Amt anscheinend auch auf eindeutig geschichtsrevisionistische Werke stützte, um die Befunde von Historiker*innen, welche die Gewalt und den Genozid untersuchten, zu diffamieren. Auch werden koloniale Verbrechen nicht länger geleugnet, sie werden einfach überschrieben durch eine diffuse „Geteilte Geschichte“, die nicht mehr genau erläutert, wer eigentlich die Teilung initiierte, und wer vom Teilen profitierte und wer die Zeche zahlte.

Eine NGO hatte 2004 auf dem Garnisonfriedhof in Berlin eine Gedenktafel für die "Opfer des deutschen Völkermordes in Namibia von 1904 bis 1908" aufgestellt, der offiziell lange geleugnet wurde. Sie lehnt an einem Gedenkstein für in Namibia gefallenen deutschen Soldaten.
Eine NGO hatte 2004 auf dem Garnisonfriedhof in Berlin eine Gedenktafel für die "Opfer des deutschen Völkermordes in Namibia von 1904 bis 1908" aufgestellt, der offiziell lange geleugnet wurde. Sie lehnt an einem Gedenkstein für in Namibia gefallenen deutschen Soldaten.

© picture alliance / dpa

In der historischen Forschung zum Kolonialismus diente das Konzept der "Geteilten Geschichte" ursprünglich dazu, die Kolonisierten wieder als Akteure in die Geschichte einzuschreiben. Sie sollten nicht nur als passive Opfer wahrgenommen werden.

Dass ein Akt des dekolonialen Empowerments nun eine apologetische Funktion erfüllt, spricht jedem aufklärerischen Interesse Hohn. Gerade das Auswärtige Amt sollte jeden Anschein des Whitewashing vermeiden.

Deutsch-Südwestafrika war die einzige deutsche Siedlungskolonie in Afrika

Vor allem aber ist es wichtig, zwischen Siedlerkolonien und Beherrschungskolonien zu unterscheiden. Für erstere, zu denen etwa die USA, Kanada und Australien gehören, waren ethnische Säuberung, gar Genozid, konstitutiv. Zwar gab es auch hier Aushandlungsprozesse, allerdings war das Endergebnis die weitestgehende Entrechtung und Verdrängung der lokalen Bevölkerung bis zu deren Vernichtung.

Im deutschen Kolonialreich gab es nur eine Siedlerkolonie: Deutsch-Südwestafrika. Sie aus der Geschichte des deutschen Kolonialismus herauszunehmen, ist bereits selbst ein Akt der Geschichtsglättung.

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Diese folgt aber einem seit einiger Zeit zu beobachtendem Muster. 2018 hatten sich CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag auf die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus als Regierungsziel geeinigt. Das war erfreulich, doch ein Blick in die Praxis zeigt, dass es sich dabei vor allem um politische Rhetorik und Symbolpolitik handelt.

Zwar werden hier kleinere Forschungen zur Provenienz nachrangiger Sammlungen mit Regierungsgeldern gefördert, dort darf das Goethe Institut einen internationalen Gesprächskreis ausrichten. An der kolonialen Substanz des Landes und seiner Institutionen wird nicht gerüttelt.

Das Humboldt Forum wird im Wesentlichen so eröffnet, wie geplant, die Benin Bronzen und die Nofretete verbleiben in Deutschland, über ihre Rückgabe wird noch nicht einmal gesprochen. Eine Dekolonisierung des Denkens, geschweige denn der Politik, findet nicht statt.

Das Auswärtige Amt hat seine eigene Rolle bisher nicht aufgearbeitet

Der eigentliche Prüfstein ist aber der Umgang mit dem ersten deutschen Völkermord. Bisher sieht die Bilanz nicht gut aus. Vielleicht liegt dies auch daran, dass mit dem Auswärtigen Amt ausgerechnet eine Behörde im Zentrum der Aufarbeitung von Deutschlands kolonialer Vergangenheit steht, die sich bisher mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Rolle darin nicht besonders hervorgetan hat.

Hier scheint sich Geschichte zu wiederholen. Außenminister Joschka Fischer musste die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der deutschen Diplomaten im Dritten Reich gegen enorme Widerstände erzwingen und an unabhängige Experten vergeben. Leider ist derzeit eine auch hinsichtlich des kolonialen Erbes (selbst-)kritische Aufarbeitung durch das Amt selbst nicht erkennbar.

Diese ist aber längst überfällig. Schließlich war nicht nur die Verwaltung der deutschen Schutzgebiete über die längste Zeit des Kolonialreichs - auch während des Völkermordes - im Auswärtigen Amt angesiedelt; auch die internationale Absicherung kolonialer Ansprüche gehörte zu dessen Aufgaben.

Über den Kolonialrevisionismus führt dann der Weg zur deutschen Außenpolitik gegenüber Befreiungsbewegungen und der Dekolonisation. Zu letzterem gehört auch das Verhältnis zu Südafrika während der Apartheid und Namibia, womit sich der Kreis wieder schließt.

Deutschland muss die Nachfahren der ermordeten Herero und Namo einbinden

Erst am 17. September schlug eine weitere Tür zu im Versuch von Herero und Nama, Gerechtigkeit für das an ihnen verübte koloniale Unrecht zu finden: An dem Tag wies der 2nd Circuit Court of Appeal in New York ihre Berufung gegen ein Urteil zurück, das eine Klageerhebung gegen Deutschland in den USA ablehnte.

Nun, da die juristische Auseinandersetzung de facto vom Tisch ist, wäre ein guter Zeitpunkt, von deutscher Seite einen Neustart des Aussöhnungsprozesses zu beginnen, den Klägern die Hand reichen, sie an den Verhandlungen zu beteiligen. Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, hatte die Klage schließlich mit ausgelöst.

Eine Aufarbeitung und eine Aussöhnung ohne Beteiligung der Nachkommen der Opfer ist schlechterdings unmöglich. Hier muss sich die deutsche Haltung ändern. Deutschland muss den ersten Schritt tun. Das ist die Verpflichtung dessen, der um Entschuldigung nachsucht.

Herero oder Nama, die das Programm dieser Tagung sehen, werden nicht den Eindruck gewinnen, dass sich die deutsche Regierung bemüht, die Verbrechen historisch adäquat zu fassen. Schwerlich vorstellbar, dass dies den Weg zur Aussöhnung fördert. Die Aufarbeitung des ersten deutschen Völkermordes und der Bedeutung des Kolonialismus für die namibische wie die deutsche Geschichte bringt dies jedenfalls nicht voran.

Jürgen Zimmerer

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