
Politik: „Koran-Verbrennungen sind nicht entschuldbar“ Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer
über die Frage, wie berechtigt der Volkszorn ist.
Die Koran-Verbrennungen durch US-Soldaten haben in Afghanistan eine Welle der Gewalt ausgelöst. Welchen Wert besitzt der Koran für den Islam?
Der Koran ist nach islamischer Lehre das Wort Gottes, und daher muss er in mündlicher wie in schriftlicher Form mit größtem Respekt behandelt werden. Die Beschädigung oder Zerstörung eines Koranexemplars ist nach islamischem Recht strafwürdig. Eine Koran-Verbrennung ist, wenn sie nicht aus purer Unwissenheit geschieht, ein Akt der Aggression, und so wird sie von den Afghanen auch verstanden.
Könnten sich ähnliche Gewaltexzesse auch in anderen islamischen Ländern entzünden, wenn dort ein Koran verbrannt wird?
Die Gewalteskalation in Afghanistan steht in einem politischen Zusammenhang, den man nicht vernachlässigen darf. Hier geht es nicht so sehr um islamisches Recht als vielmehr um Politik. Viele Afghanen sehen die Amerikaner beziehungsweise „den Westen“ als fremde Macht, die den Islam und die Muslime nicht nur physisch angreift, sondern auch in ihren heiligsten Werten und Überzeugungen. Wer den Propheten Mohammad beleidigt oder das Wort Gottes verbrennt, schändet den Islam und die Muslime. Diese Wahrnehmung ist weit verbreitet, sie muss deshalb aber nicht in Gewalt münden; der „Volkszorn“ wird sicher auch von interessierten Kreisen wie beispielsweise den Taliban geschürt.
Was kann getan werden, um die Situation zu beruhigen?
Meiner Ansicht nach gibt es für die US- Soldaten, die die Koranexemplare verbrannt haben, keine Entschuldigung. Nach der langen Zeit, die die Amerikaner bereits in Afghanistan sind, müssten sie wissen, dass man den Koran nicht wie irgendein Buch entsorgt. Die Entschuldigungen werden manchen empörten Gläubigen zwar beschwichtigen, die Stimmung aber bleibt hochgradig gereizt.
Sieht der Islam vor, Rache zu nehmen, wenn der Koran geschändet wurde? Dazu rufen zumindest die Taliban auf.
Nein, wenn es nach der islamischen Lehre geht, ist nicht Rache gefordert, sondern die Bestrafung der Täter. In den verschiedenen islamischen Ländern herrschen hierzu unterschiedliche Gesetze, und was derzeit in Afghanistan geschieht, hat wenig mit Regierungshandeln oder gar mit ordentlichen Gerichtsverfahren zu tun: Hier protestiert „die Straße“. Dass die Taliban Rache fordern, ist problematisch.
Welche Befürchtung haben Sie bezüglich der Wahrnehmung des Islam in Europa?
Durch die Gewalt in Afghanistan entsteht leider der Eindruck, alle Muslime seien gewalttätig und fanatisch – dabei ist es nur eine Minderheit.
Die Fragen stellte Marie-Luise Klose.
Gudrun Krämer leitet das Institut für Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Ihre Themenschwerpunkte sind Recht, Gesellschaft und Politik im modernen Islam.