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Migranten kommen über den Ärmelkanal nach Großbritannien

© dpa/Gareth Fuller

Korruption, Inflation, Perspektivlosigkeit: Albaniens Jugend sucht das Weite

Seit Jahren wandern junge Albaner aus, weil sie für sich in ihrer Heimat keine Zukunft sehen. Das schadet der Wirtschaft des Landes. Was tut die Politik dagegen?

Von Niklas Mönch

Die Geschwister Arbi und Gisela wollen weg. Und das so schnell wie möglich. „Du kannst die besten Universitätsabschlüsse des Landes haben, aber wenn du keine Kontakte zu mächtigen Leuten hast, kannst du’s vergessen”, sagt Arbi. Seine Schwester stimmt zu. Sie kenne Menschen, die es ohne qualifizierenden Abschluss in höchste Positionen geschafft haben.

Arbis und Giselas Vater würde seine Kinder lieber um sich haben, aber auch er sieht keine Perspektive in Albanien für sie. Eine Tochter sei schon in Großbritannien. „Wenn ich an die Zukunft Albaniens und die Attraktivität der europäischen Länder denke, werde ich meine Familie nicht zusammenhalten können”, sagt er. Auch in Arbis Freundeskreis gäbe es kaum jemanden, der bleiben will.

Vielen jungen Albanern fehlt offenkundig die Hoffnung, im eigenen Land etwas erreichen zu können. Im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International liegt das Land auf Platz 110, gleichauf mit Malawi und Thailand.

Hinzu kommen die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Grundnahrungsmittel wie Brot oder Fleisch sind 30 bis 50 Prozent teurer geworden. Die Inflation liegt bei rund acht Prozent, so hoch wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Ein Liter Sprit beispielsweise kostet in der Hauptstadt Tirana fast so viel wie an deutschen Tankstellen, dabei liegt das Durchschnittseinkommen in Albanien bei nicht einmal 450 Euro.

„Die Preise steigen überall, doch die Gehälter ziehen nicht nach”, sagt die junge Psychologin Krisi. Sie kommt trotz Sechs-Tage-Woche kaum über die Runden. Für ihre Wohnung in einem Viertel außerhalb Tiranas zahlt sie 260 Euro – bei einem Gehalt von 300 Euro. Auch sie kann sich vorstellen, ihrer Heimat irgendwann den Rücken zu kehren.

Viele Albaner suchen Zuflucht in Großbritannien

Seit 2010 können Albaner 90 Tage visafrei in die Schengen-Staaten einreisen. Wer gut ausgebildet ist, bekommt dort auch meist eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung. Doch viele Albaner zieht es derzeit nach Großbritannien.

Dort gibt es eine große Community, der Durchschnittsstundenlohn ist neunmal so hoch wie in ihrer Heimat. Seit Beginn des Jahres sind mehr als 12.000 Albaner ins Vereinigte Königreich gekommen – im Jahr 2021 waren es 800.

12.000
Albaner sind seit Jahresbeginn nach Großbritannien gekommen.

Dass es immer mehr Albaner nach Großbritannien zieht, liegt auch an den günstigen Preisen der Schlepper. Über soziale Medien wird das Überqueren des Ärmelkanals per Schnellboot für 2000 bis 5000 Pfund angeboten.

Außerdem werden die Hälfte der von Albanern gestellten Asylanträge in Großbritannien akzeptiert. Auch wenn die Behörden Monate brauchen, um eine Entscheidung über den Asylantrag zu treffen, lässt das genug Zeit, um Geld zu verdienen.

Um den Zuzug einzudämmen, wollen Frankreich und Großbritannien jetzt ihre Kooperation auf dem Ärmelkanal verstärken. Für 72 Millionen Euro sollen 100 zusätzliche Polizisten Frankreichs Küste sichern und Hunde Migranten aufspüren. Auch Drohnen zur Überwachung sollen eingesetzt werden. Unklar ist jedoch, ob diese Maßnahmen die Albaner an der Überfahrt hindern.

Kritiker werfen der Regierung Untätigkeit vor

Und wie reagiert Albaniens Politik? Anfang November hat Premierminister Edi Rama seine Maßnahmen für den Bereich „Jugend“ vorgestellt. Allerdings werden die Worte „Auswanderung” oder „Armut” nicht erwähnt. Für einige Beobachter hat die Regierung auch kein Interesse daran, etwas gegen die Auswanderung zu unternehmen. Denn es sind oft die Kritiker der Regierung, die gehen.

Der Exodus der albanischen Jugend hat allerdings Folgen für Albaniens Wirtschaft. Vielerorts fehlen Arbeitskräfte, zum Beispiel in der Textilbranche. Sie macht etwa 40 Prozent des Exports aus, Haupthandelspartner sind Italien und Deutschland.

Flor Zekja leitet ein mittelständisches Unternehmen in Tirana. Die Nachfrage sei hoch, doch er könne sie kaum bewältigen, sagt er. „Ich beschäftige 70 Personen. Wir bräuchten 20 Prozent mehr Angestellte, aber wir finden keine.“ Laut des albanischen Textilverbandes sind 20.000 Stellen unbesetzt.

Die hohe Nachfrage könne man langfristig so nicht mehr bedienen. Deshalb suchten viele Firmen bereits Arbeitskräfte aus Nepal oder Bangladesch. In Albanien fehle eine neue Generation, so der albanische Textilverband.

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