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Die rot-grüne Minderheitsregierung unter der Führung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist in Nordrhein-Westfalen seit einem Jahr im Amt.

© dapd

Ein Jahr Minderheitsregierung in NRW: Korte: „Eine neue Form des Parlamentarismus“

Die Abstimmung um die WestLB endete im Desaster. Trotzdem ist die  rot-grüne Minderheitsregierung stabil, meint Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler der Universität Duisburg-Essen. Aber Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verliert an Souveränität.

Stand:

Herr Korte, die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ist seit einem Jahr im Amt. Wie stabil ist Regierung?
Recht stabil. Weniger aus inhaltlichen Überlegungen heraus, sondern vor dem Hintergrund der Umfragedaten. Davon wird die Regierung zusammengehalten. Die Mehrheit der Parlamentarier verspricht sich nichts Positives von Neuwahlen.

Die Abstimmung zur WestLB endete in einer Blamage für Rot-Grün. Müsste es nicht schon deswegen Neuwahlen geben?
Inhaltlich kann man so argumentieren. Aber eine Minderheitskoalition ist immer auf ad-hoc-Mehrheiten angewiesen. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, auch mal Abstimmungsniederlagen hinnehmen zu müssen. Bislang kam das an entscheidenden Punkten nur nicht vor. Damit muss die Regierung aber rechnen.

Hannelore Kraft wollte dem Parlament wieder neues Leben einhauchen. Ist das geglückt?
Wenn man sich sachlich anschaut, was in den letzten zwölf Monaten gelaufen ist, kann ich durchaus ein neues Ideenmanagement im Parlament erkennen. Das sieht man beispielsweise daran, wie Gesetze vorbereitet werden. Die Koalition kommt nicht mit fertigen Vorlagen ins Parlament, sondern sondiert erstmal, wie man Verbündete finden kann. Es gibt keine traditionellen Oppositions- und Regierungsparteien. Die Sonderform des Parlamentarismus arbeitet mit Stützfraktionen, die von Fall zu Fall Mehrheiten ausloten müssen. Das ist eine neue Form des Parlamentarismus. Das kennen wir zwar bereits aus anderen Ländern, aber nicht aus Ländern, die so groß und bedeutend sind wie Nordrhein-Westfalen.

Die Linke hat die Minderheitsregierung aber oft unterstützt. Ist es nicht faktisch eine rot-rot-grüne Koalition?
Nein, die Mehrzahl der Abstimmungen lief nicht so. Man kann jetzt sagen, Quantität ist nicht Qualität. Ich erkenne in der Linken aber keine Tolerierungsfraktion. Zudem hat die Linke bisher in keiner Weise Erpressungspotential entwickelt. Bislang ist sie keine Reserve-Mehrheit.

Kann die Minderheitsregierung womöglich die kompletten fünf Jahre halten?
Wenn sich die Umfragewerte nicht deutlich ändern, wird keiner das Risiko von Neuwahlen eingehen. Denn die Karriereplanung der meisten Abgeordneten ist auf fünf Jahre ausgerichtet. Das ist keine sonderlich optimistische Botschaft. Es ist aber der Versuch mit einem unklaren Wählervotum umzugehen. Rechnerisch wäre eine Große Koalition natürlich immer möglich. Man wollte einen Ausweg für den Dauerpatt finden, bei dem am Ende wieder eine Große Koalition gestanden hätte.

Die Ministerpräsidentin scheint die Leichtigkeit vom Beginn etwas verloren zu haben. Woran liegt das?
Das Regieren ist mit einer Minderheitskoalition deutlich schwieriger als mit einer klaren Mehrheit. Da muss man zwar auch um die Tagesmehrheit ringen. Aber hier muss per se jedes kleinstes Detail einzelfallbezogen verhandelt werden. Insofern ist das Regieren einfach kräftezehrender. Da geht dann viel an Leichtigkeit und Souveränität verloren, zumal es noch keine vergleichbaren Modelle gibt, auf die man sich lernend stützen könnte.

Warum die CDU nicht an Boden gewinnt und wo die Midnerheitsregierung punkten konnte, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.

© dpa

Warum gewinnt die CDU nicht an Boden?
Die Christdemokraten sind in einem extremen Selbstfindungsprozess. Diese überraschend deutliche Wahlniederlage hat Narben hinterlassen. Es gibt verschiedene Lager innerhalb der CDU, es gibt einen neuen Vorsitzenden. Das muss erstmal alles zusammenwachsen. Bei der FDP ist das ähnlich. Die  Opposition setzt daher nicht nur auf Angriff sondern vor allem auf Heilung eigener Wunden. Sie sind noch nicht wieder kampagnenfähig. Die Schwäche der Opposition sichert insofern auch ein Stück weit das Regierungslager in Düsseldorf.

Zur fachlichen Bilanz: Wo konnte die Minderheitsregierung punkten und wo ist sie gescheitert?
Fachlich ist die Bilanz sehr geteilt. Sie ist stark gewesen im Abräumen vieler Gesetze, die von der Regierung unter Jürgen Rüttgers ins Leben gerufen wurden. Es ging vor allem um den Modus des Zurücknehmens, wie man beispielsweise an den Studiengebühren gesehen hat. Aber an produktiven Neukonzeptionen ist noch wenig zu sehen. Und selbst das, was die Regierung neu konzipiert hat, beispielsweise sichtbar im Bereich der Schulpolitik, das ähnelt einem Laboratorium, weil taktisch mit Verordnungen agiert wird.

Ist das Thema Neuverschuldung das größte Problem für die Koalition?
Absolut. Finanzfragen, Neuverschuldung und Haushalt sind die überwölbenden Themen. Das ist in Nordrhein-Westfalen extrem, weil die Themen verfassungsgerichtlich umstellt und parteipolitisch umkämpft sind. Im Kern steht also auch der Parlamentarismus auf dem Prüfstand. Bei der Entscheidung zur WestLB ging es letztlich auch um die Frage, wie man mit dem Verschuldungsthema umgeht. Dass die Situation im Parlament dann am Pairing-Verfahren so eskalierte, ist natürlich ein Vertrauensbruch, der nicht von heute auf morgen zu kitten ist.

Was bedeutet das für die Zusammenarbeit mit der CDU?
Sie ist nicht unmöglich, aber deutlich erschwert. Das ist das größte Hindernis, das bislang aufgebaut wurde. Dieser Vertrauensbruch ist geradezu existentiell in einem Parlamentarismus mit notwendigen wechselnden Gesetzgebungsmehrheiten. Da müssen jetzt wieder viele goldene Brücken gebaut werden. Das kann dauern. Dennoch schließe ich keinesfalls auch neue Koalitionen – ohne Wählerbeteiligung – in Nordrhein-Westfalen während dieser Legislaturperiode aus.

Das Gespräch führte Marc Etzold

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