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Politik: Krupp. Der Aufstieg eines Industrieunternehmens: Eine nationale Institution

Lothar Galls neues Buch über Krupp ist die Geschichte der Firma, nicht ihres Gründers. Innerhalb eines halben Jahrhunderts wurde aus dem kleinen Handwerksbetrieb ein Imperium, ein Konzern und eine Institution.

Lothar Galls neues Buch über Krupp ist die Geschichte der Firma, nicht ihres Gründers. Innerhalb eines halben Jahrhunderts wurde aus dem kleinen Handwerksbetrieb ein Imperium, ein Konzern und eine Institution. Krupp, einer der ersten industriellen Großbetriebe, wurde bald schon zum Markenzeichen, aber auch zum Symbol der Industrie, einer neuen Macht im gleichzeitig entstehenden deutschen Nationalstaat, zum Inbegriff der Industrialisierung und ihrer Umwälzung der Gesellschaft und der Lebensverhältnisse.

Die Fabrik wird zum Lebensraum, der nicht an den Toren endet, sondern immer weitere Bereiche des Lebens beherrscht. Krupp war "die Waffenschmiede des Reiches", entwickelte und produzierte aber nicht nur die erste Stahlkanone, sondern auch den nahtlosen Radreifen (für Eisenbahnen), und seine Belegschaft erreichte zurzeit der Reichsgründung die Einwohnerzahl einer Kleinstadt.

Alfried Krupp übernahm 1826 den väterlichen Betrieb mit sieben Arbeitern. 1851 waren es hundert, seit Mitte der 60er Jahre schon 10 000. 1900 waren bei Krupp dann 46 000, 1914 schließlich 81 000 Menschen beschäftigt. In diesem sich zum Konzern auswachsenden Betrieb werden die Arbeitsverhältnisse zunehmend unpersönlicher und abstrakter, die internen Strukturen des Betriebs und die Hierarchie-Ebenen differenzieren sich immer weiter aus. Neben und über den Arbeitern und Meistern entstehen neue Funktionen, Betriebs-Führer, Ressortleiter, "Beamte" (also eigentlich Angestellte) in Verwaltung und Management.

Im Zuge der Hierarchisierung und Bürokratisierung der Arbeit setzen sich immer mehr Maßnahmen zur Disziplinierung der Arbeiter durch - strukturell, aber auch intentional. Jahre vor Bismarcks Sozialgesetzgebung führte Krupp bereits Kranken- und Altersversorgung ein, sorgte für Aus- und Weiterbildung der Betriebsangehörigen, baute Werkswohnungen und ganze Arbeitersiedlungen. Die andere Seite dieser vom Geist des "autoritären Patriarchalismus" beseelten Fürsorge war Repression, Reglementierung, Kontrolle von Gesinnung und Lebensführung. Sozialdemokraten wurden bei Krupp nicht eingestellt oder entlassen - ein innerbetriebliches Sozialistengesetz.

Mit wohltuender Sachlichkeit legt Gall einen Längsschnitt durch die wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und macht den "Aufstieg" der "Firma" Krupp zum Brennspiegel der Entwicklung der deutschen Gesellschaft von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Innerhalb der chronologischen Großgliederung entfaltet sich ein wohlproportionierter Reichtum an Aspekten, ohne dass die komplexe Gesamtentwicklung aus dem Blick geriete.

Die schnörkellose Darstellung von komplexen Entwicklungen und ihren strukturellen Bedingungen und Auswirkungen komprimiert und präsentiert souverän große Informationsmengen: Die technische und die Materialentwicklung, die Dynamik der innerbetrieblichen Evolution, Expansion und Strukturwandel des Rohstoff- und Absatzmarktes, die Interdependenzen zwischen Wirtschaft und Politik werden gleichermaßen gebündelt und verständlich dargestellt.

Alfried Krupp, der nach eigener Auskunft sein Unternehmen "dem Staate gegenüber immer als ein Nationalinstitut betrachtet" hat, erscheint nicht als Schöpfer und Macher, sondern als Funktion der Firma, dieses historisch neuartigen Individuums und Politikums. Ganz von den strukturellen Rahmenbedingungen her und ohne Psychologisierung entsteht ein Bild Alfried Krupps als Gründer-Figur, dem sein Unternehmen über den Kopf wächst und aus den Händen genommen wird. Der Patriarch erlebte noch die Ablösung des Unternehmens vom Unternehmer, hielt aber bis zuletzt an "der Fiktion der uneingeschränkten Alleinherrschaft des Firmeninhabers" fest. Die Vorstellung, einen Konzern im Geist eines Familienbetriebs, nach Maßgabe des "Ganzen Hauses" zu leiten, war längst historisch geworden.

Gall kann auf erzählerische Effekte, auf Psychologisieren, Dramatisieren verzichten. Er versteht es, die "Spannung" der Sachen selbst, die Strukturen in ihrer inneren Dynamik und Verflechtung darzustellen.

Rudolf Helmstetter

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