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Lehren aus der Pandemie: Die autoritärste Versuchung, seit es liberale Demokratien gibt
Die kritische Aufarbeitung der Corona-Pandemie lohnt. Nur so können wir vermeiden, bei der Klimapolitik die gleichen Fehler zu machen.
Stand:
Dreieinhalb Jahre liegt der erste Lockdown der Pandemie in Deutschland zurück. Überraschend alt sieht das neue Normal aus: Wir schütteln wieder Hände und sitzen eng beisammen. Dabei fällt es mir immer wieder schwer, meine Erinnerungen an die Pandemie in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen.
Zugleich antwortet ein elfjähriger Junge auf die Frage nach dem wichtigsten Erlebnis in seinem Leben nicht mit seiner Einschulung oder dem großen Familienurlaub, sondern mit dem Lockdown. Gerade die Schulschließungen stehen im Mittelpunkt kritischer Diskussionen der Pandemie. Ansonsten ist die Pandemie, die unseren Alltag so tiefgreifend geprägt hat, weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Dabei ist absehbar, dass nicht nur der elfjährige Junge, sondern die gesamte Gesellschaft auf lange Zeit von diesen Erinnerungen geprägt sein wird. Daher lohnt sich die kritische Aufarbeitung dieser einschneidenden Erfahrungen – auch für den Umgang mit künftigen Herausforderungen.
Die öffentliche Stilisierung einer existenziellen Bedrohung
Eine solche Reflexion macht deutlich, dass in den ersten Wochen verständliche Ratlosigkeit herrschte. Im Verlauf der folgenden Monate und Jahre aber gingen Verhärtungen der öffentlichen Debatte mit zunehmend unverhältnismäßigen Verschärfungen der Maßnahmen einher.
Die öffentliche Stilisierung einer existenziellen Bedrohung und die geradezu religiöse Überhöhung von Maßnahmen eröffneten unbeschränkte exekutive Handlungsspielräume. Weitreichende Maßnahmen zur Reduzierung von Inzidenzen traten an die Stelle von Ziel-Mittel-Abwägungen, die als Inkaufnahme von „Toten“ diffamiert wurden. Unrealistische Ziele wie „Zero Covid“ aber führen zur Eskalation der Mittel. Ideen von Zonenregelungen und Transitwegen machten die autoritäre Versuchung der liberalen Demokratie sichtbar.
Dieser Befund reicht weit über die Pandemie hinaus und mitten hinein in die aktuelle Klimapolitik. Auch hier wird ein Ziel, nämlich die nationale Klimaneutralität, verabsolutiert und als Überlebensfrage moralisch überhöht. Zugleich ist dies mit der Strategie „alles elektrisch – nur Erneuerbare – keine Kernenergie“ nicht realisierbar. Die Eskalation der Mittel ist absehbar.
Was die liberale Demokratie stattdessen dringend benötigt, sind drei Dinge. Erstens die Abwägung von Zielen, Mitteln und Verhältnismäßigkeiten. Zweitens offene Debatten über gute Gründe statt moralisierende Ausschließeritis. Und drittens eine Debatte über einen Kernbereich persönlicher Lebensführung, in dem der Staat wirklich nichts zu suchen hat.
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