Ein Tag im Ukraine-Krieg live – das Multimedia-Projekt zum Nachlesen:„Es riecht ganz stark nach Krieg“, sagt er. Dann fällt ein Schuss
Der Tagesspiegel begleitete einen Tag lang live sechs Menschen aus der Ukraine in ihrem Kriegsalltag – von Charkiw bis Lwiw. Der Tag zum Nachlesen.
Stand:
Seit 36 Tagen herrscht Krieg in der Ukraine. Die russische Invasion kostet täglich etliche Leben, vier Millionen Menschen haben bereits das Land verlassen. Wie sieht das Leben derer aus, die bewusst in ihrer Heimat bleiben? Sechs Ukrainerinnen und Ukrainer dokumentieren einen Tag lang in unserem Live-Blog ihren Kriegsalltag in Kiew, Charkiw, Odessa, Lwiw – und dort, wo normalerweise keine Berichte entstehen.
Unsere Blogger treffen auf Flüchtlinge, die Tango tanzen. Auf brennende Häuser in Charkiw. Erschrecken vor den Schüssen direkt an der Front. Und freuen sich an den kleinen Dingen im Kriegsalltag: Eis am Stiel. Alle Eindrücke haben sie in Videos, Fotos und Statements festgehalten, die wir hier dokumentieren:
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31. März 2022 08:01
Sidney Gennies
Der Tag beginnt, das sind unsere Blogger
Vladislav Bolsun, Tetyana Kostorna, Taras Topolia, Olena Kravtchenko, Olena Kontsevych und Maria Avdeeva bloggen heute live
"Ich bin an einem Evakuierungspunkt", berichtet Taras Topolia. "Neben mir eine Oma, älter als 90. Nach dem 8.3. war sie unter den Ruinen ihres zerstörten Hauses. Das ist jetzt die Realität in der Ukraine"
Kurz vor Ende des Projekts "Ein Tag im Krieg" gelingt es Taras Topolia, dem Musiker, der zu den Waffen griff als sein Land angegriffen wurde, weitere Videos von der Front in Irpin zu schicken. Im Video sagt er: "So sehen russische Souvenirs für uns Ukrainer aus." In die Kamera hält er ein Geschoss:
"Zum Schluss möchte ich mich für die Gelegenheit hier bedanken. Dass ich mich wieder nützlich fühlen konnte. Es hilft mir, meine Schuldgefühle zu bekämpfen. Dass ich aus der Stadt geflohen bin, statt vor Ort zu helfen"
"Ich bin an einem Evakuierungspunkt", berichtet Taras Topolia. "Neben mir eine Oma, älter als 90. Nach dem 8.3. war sie unter den Ruinen ihres zerstörten Hauses. Das ist jetzt die Realität in der Ukraine"
"Jeden Tag erlebe ich, wie couragiert meine Stadt und mein Land sich gegen die russische Aggression stellt, ganz egal was passiert. Das gibt mir die Kraft, weiterzumachen."
Taras Topolia hatte lange Zeit heute keinen Zugang zum Internet. Doch er hat weiter gefilmt, als er im gerade noch heftig umkämpften Irpin war. Als er sich gerade selbst filmt, um davon zu berichten. Er sagt: "Es riecht ganz stark nach Krieg". Dann fällt ein Schuss.
"Jeden Tag umarme ich Menschen, die ich das erste Mal in meinem Leben treffe. Ich fühle mich besser. Und ich bin absolut sicher, dass wir gewinnen werden. Ich habe die Unterstützung unserer deutschen Zuschauer und Leser heute so sehr gespürt."
"Ich bin heute dazu gekommen, darüber nachzudenken, was Krieg bedeutet. Hier in Kiew sind wir einigermaßen sicher. Aber ihr müsst verstehen, dass dies ein echter Krieg in der Ukraine ist. Ihr müsst verstehen, dass viele Russen diesen Krieg unterstützen und zugelassen haben, dass 148 Kinder starben und 232 verletzt wurden. Ihr müsst verstehen, dass unsere Mädchen und Frauen vergewaltigt werden. Dass die russische Armee verbotene Waffen einsetzt. Ihr müsst verstehen, dass wir unser Land verteidigen. Und euer Land. Jeden Tag. Jeden Moment. Stirbt die Ukraine, stirbt die Freiheit."
"Meine Eltern haben unsere Freunde aufgenommen, die aus Kiew weggezogen sind. Wir sind keine Flüchtlinge, sagen sie. ,Wir sind Binnenvertriebene.' Und die Wahrheit ist, dass die Familie bereits zum zweiten Mal vertrieben wurde. Das erste Mal war 2014 aus Stachanov, das in der Region Luhansk liegt."
Ja, es gibt sie, die ruhigen Momente im Kriegsalltag, auch die fröhlichen. Doch Tetyana Kostorna sagt: "Aber wir sind immer noch im Krieg". Was das für die Menschen in Lwiw heißt, erklärt sie im Video.
"Obwohl Odessa jetzt nicht mehr bombardiert wird, ist das Leben hier zum Stillstand gekommen. Fast alle Bars, Restaurants und Märkte sind geschlossen. Einige Cafés sind noch in Betrieb, oft gibt es kostenloses Essen und Getränke."
Mit einem dramatischen Appell richtet sich Vladislav Bolsun an die Welt: "Russland und Russen haben das getan. Sie töten unsere Menschen, sie töten unsere Kinder". Seine ganze Botschaft im Video.
"Nach diesem letzten Monat kann ich sagen, dass ich absolut verrückt nach Kinderwägen geworden bin. Ich rufe alle meine Freunde an und frage nach welchen. Ich rufe sogar in sämtlichen Nachbarländern an, um welche aufzutreiben. Ich freue mich jedes Mal riesig, wenn wir einen weiteren verschenken können. Diese schwangere Frau namens Irina kam gerade mit ihren Kindern aus Kiew an."
Eigentlich ist sie Schauspielerin. Ihr altes Theater in Odessa ist nun ein Freiwilligenzentrum. Zwischendrin wird trotzdem gesungen. Einen kleinen Einblick gewährt Olena Kontsevych im Video:
"So sieht mein Homeoffice aus. Ich habe alles in den Flur gebracht. Wir haben hier eine Regel: zwei Wände und keine Fenster. Mein Rucksack steht bereit, um rauszugehen. Einen Helm und die schusssichere Weste habe ich mir geliehen, um draußen zu filmen."
"Die Schuldgefühle sind das Schlimmste. Dafür geflohen zu sein oder dafür geblieben zu sein. Nicht genug zu tun, nicht genug zu helfen. Selbst dafür, mal ein bisschen länger zu schlafen. Es gibt so viele Gründe. Aber die Frage ist: Wer ist dafür verantwortlich, dass wir uns so schuldig fühlen? Wir können nichts für diese Situation. Aber jemand anderes ist verdammt nochmal schuld daran."
Zufallstreffen: 12 Stunden nach dem russischen Angriff macht sich der amerikanische Starkoch José Andrés auf den Weg in die Ukraine. Vladislav Bolsun trifft ihn in Kiew. Dessen Organisation kocht für Millionen in der Ukraine. Im Video erzählt er, was ihn antreibt.
Vladislav Bolsun: "Das Leben geht weiter und einige Restaurants in Kiew haben sich dazu entschlossen, wieder zu öffnen. Mein liebstes, ,Mimoza Brooklyn Pizza', ist wie eine Insel unseres vorherigen Lebens, ohne täglichen Stress, Panik und Angstgefühle. Wenn man Pizza schmeckt, schmeckt man das normale Leben. Leute, ihr solltet herkommen, wenn der Krieg vorbei ist. Um unseren Sieg zu feiern. Und Peperoni und Quattro Formaggi zu probieren."