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Ein Regimegegner hat leere Patronenhülsen auf seine Finger gesteckt, die die Polizei bei Krawallen entlang der Qasr-al-Nil-Brücke abgefeuert hat.

© Reuters

Ägypten: Mächtig, mächtiger, Mursi

Ägyptens Präsident soll Soldaten im Innern einsetzen dürfen und bietet der Opposition einen Dialog an. Diese lehnt ab - und die Krawalle in Kairo gehen weiter.

Angesichts des blutigen Aufruhrs und der tiefen Spaltung Ägyptens will Präsident Mohammed Mursi jetzt die Krawalle mit harter Hand eindämmen. Gleichzeitig versuchte der Staatschef am Montag vergeblich, die in der „Nationalen Rettungsfront“ zusammengeschlossenen Oppositionsparteien politisch einzubinden. Ausdrücklich und namentlich lud er dazu die drei wichtigsten Oppositionsführer, Friedensnobelpreisträger Mohammed al Baradei, den langjährigen Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, sowie den populären Linkspolitiker und einstigen Präsidentschaftskandidaten Hamdeen Sabbahi, zu einem „nationalen Dialog“ in den Präsidentschaftspalast von Heliopolis ein. Die Opposition lehnte dies jedoch nach einem Spitzentreffen im Hauptquartier der Wafd-Partei in Dokki kategorisch ab. Man werde nicht an einem Dialog teilnehmen, der „ohne Inhalt“ sei und in eine Sackgasse führe, erklärte der Sprecher des Bündnisses, Mohammed al Baradei.

Am Sonntagabend bereits hatte Mursi in einer Fernsehansprache Ausnahmezustand und nächtliche Ausgangssperre für die drei Städte Port Said, Suez und Ismailia verhängt, die alle entlang des Suezkanals liegen. Die Wasserstraße ist zusammen mit dem Tourismus die wichtigste Devisen-Einnahmequelle des Landes. Auch am Assuan- Staudamm in Oberägypten fuhren am Montag gepanzerte Fahrzeuge auf. Mursi ließ derweil das Kabinett ein Gesetz auf den Weg bringen, das ihm als Präsidenten in den nächsten Monaten den Einsatz der Armee im Inneren erlaubt, „um die Sicherheit zu gewährleisten und wichtige Einrichtungen zu schützen“.

Der Ausnahmezustand, der in Ägypten seit dem Mord an dem damaligen Staatschef Anwar as Sadat für mehr als 30 Jahre in Kraft war, war erst vor sechs Monaten mit der Wahl von Mohammed Mursi zum Nachfolger Mubaraks aufgehoben worden. Die Abschaffung des Ausnahmerechts, was der Polizei jahrzehntelang willkürliche Verhaftungen erlaubte, gehörte im Frühjahr 2011 zu den Kernforderungen der Demokratiebewegung auf dem Tahrir-Platz.

In den letzten vier Tagen starben mehr als 50 Menschen

Ein Regimegegner hat leere Patronenhülsen auf seine Finger gesteckt, die die Polizei bei Krawallen entlang der Qasr-al-Nil-Brücke abgefeuert hat.
Ein Regimegegner hat leere Patronenhülsen auf seine Finger gesteckt, die die Polizei bei Krawallen entlang der Qasr-al-Nil-Brücke abgefeuert hat.

© Reuters

Derweil gingen die Krawalle in Kairo auch am Montag weiter. Ein Mann starb durch eine Schrotladung, Dutzende wurden bei neuerlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei verletzt. Eine kleine Gruppe Krawallmacher blockierte zeitweise die nahe am Tahrir-Platz vorbeilaufende Stadtautobahn. In der Metro brach Panik aus, als Tränengas unter die Erde in die Fahrgasttunnel geriet. In der Industriestadt Mahalla blockierten Bürger die Zuggleise, nachdem sie das Büro des Gouverneurs in Brand gesetzt hatten. „Hau ab, Mursi“, rief die Menge und: „Wir wollen Wiedergutmachung für die Märtyrer.“

Im ganzen Land sind in den seit vier Tagen anhaltenden Unruhen bisher mehr als 50 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 800 verletzt worden. In vielen Städten wurden Polizeiwachen und Gerichte gestürmt, in Port Said ein Klubgelände des Militärs verwüstet. Im Kairoer Stadtzentrum ging das 1932 von den britischen Kolonialherren gegründete Al-Howeiyaty-Mädchengymnasium in Flammen auf.

Das Oppositionsbündnis in Kairo fordert vor allem eine Revision der umstrittenen, im Dezember durchgepeitschten Verfassung, eine echte Beteiligung an der Macht im Rahmen einer Regierung der Nationalen Rettung sowie die Entlassung des neuen, umstrittenen Generalstaatsanwalts Talaat Abdallah. Oppositionsführer Hamdeen Sabbahi erklärte, jeder ernsthafte Dialogaufruf „braucht wirkliche Erfolgsgarantien, vor allem muss der Präsident politische Lösungen anbieten“. Al Baradei twitterte, solange sich Mursi nicht konkret und öffentlich zur Bildung einer Regierung der Nationalen Rettung bereit erkläre und ein Komitee zur Überarbeitung der Verfassung einberufe, sei jeder Dialog pure Zeitverschwendung.

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