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Hier bin ich: Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli will in ihrem Heimatbezirk für den Bundestag kandidieren.

© imago images / Metodi Popow

Machtkampf in der Berliner SPD: Wer sich über Chebli aufregt, hat das letzte Jahrzehnt verschlafen

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli weiß, was sie will und geht Konflikten nicht aus dem Weg. So wie viele Männer das tun. Wo bitte ist das Problem? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Es gibt diesen einen Satz meiner Mutter, der mich als junges Mädchen sehr geprägt hat. Wenn sie keine Lust und Kraft hatte, ihren Standpunkt meinem Vater gegenüber zu verteidigen, sagte sie: „Tamam, tamam, du hast recht und ich habe meine Ruhe.“

Komisch, dass genau dieser Satz bei mir so stark in Erinnerung geblieben ist, obwohl ich für meinen Standpunkt wie eine Löwin kämpfe.

Auch, wenn ich weiß, dass ich im Job keine Chance habe, mich gegenüber männlichen Kollegen durchzusetzen, kämpfe ich trotzdem mit einer Mischung aus Trotz und einer „Jetzt erst recht“-Attitüde – für meine Tochter, für die Frauen, für Gerechtigkeit und aus Prinzip.
Ich komme darauf, weil ich seit Tagen mit Fassungslosigkeit beobachte, wie die Berliner SPD, angeführt von Michael Müller, alle Prinzipien verloren zu haben scheint. Man kann von Staatssekretärin Sawsan Chebli halten was man will. Aber den Mut, nicht zurückzuweichen, muss man erst mal aufbringen.

Und dabei hat der gegen sie gerichtete Tsunami an Beleidigungen, Hässlichkeiten, Demütigungen und männlichem Machtgehabe wahrscheinlich noch nicht einmal seine volle Stärke erreicht. Ich kenne Männer, die haben schon bei viel weniger Gegenwind freiwillig das Feld geräumt. Nicht umsonst sagt man, dass eine Frau, die gerade ein Kind geboren hat, Superkräfte hat. Chebli ist vor drei Monaten Mutter geworden.

Wer sich jetzt über Chebli aufregt, hat das letzte Jahrzehnt verschlafen

„Chebli gegen Müller“, „Chebli fordert Müller heraus“, „undankbar“, „wie kann sie es wagen" – so empören sich viele. Wer so denkt, hat das letzte Jahrzehnt offenbar verschlafen und nicht mitbekommen, dass Frauen nicht mehr warten, bis ein Mann daherkommt und so gnädig ist, ihnen eine Chance zu geben.

Wer so denkt, lebt geistig in den 50er Jahren. Wer so denkt, sollte sich warm anziehen. Oder um im chauvinistischen Bild zu bleiben: Wer die Hitze nicht erträgt, sollte die Küche meiden.

Chebli kandidiert nicht gegen Müller, sie macht es für ihre politische Karriere. Wenn man es von dieser Seite aus betrachtet, fragt man sich schon, warum sich in der SPD niemand darüber aufregt, wie Müllers politischer Verbleib herbeigeklüngelt wurde. Aber es ist ja auch viel einfacher, der Frau die Schuld zu geben und „Verräterin“ zu rufen. Dann muss man sich nämlich nicht mit Müllers Verrat an den Berlinerinnen und Berlinern auseinander setzen.

Diese Frau nimmt sich, was sie will - wie das Männer gewöhnlich tun

Chebli hat nicht die Harmonie gesucht, sie hat sich dem Konflikt gestellt. Vielleicht irritiert das so sehr, weil wir dieses Verhalten sonst nur von Männern kennen. Übrigens ist ein Grund, warum Männer im Job so oft durchkommen, dass Frauen verzichten.

In einer wissenschaftlichen Untersuchung habe ich neulich gelesen, dass Frauen privat und im Job vermittelnd agieren, weniger rechthaberisch sind und sich ihr Selbstbewusstsein durch soziale Anerkennung holen, Männer dagegen durch Wettbewerbsverhalten. Sawsan Chebli hat genau das getan, was Männer immer machen: Sich nehmen, was sie will.

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Jetzt so zu tun, als sei Chebli die böse Hexe in diesem politischen Machtkampf, macht nur eines deutlich: Eine Frau darf sich nicht wie ein Mann verhalten, um ihr Ziel zu erreichen. Und noch etwas wird klar. Vielen Politkern ging es in den Diskursen nie wirklich um Gleichberechtigung oder darum, die Benachteiligung von Frauen im Beruf und in der Gesellschaft zu bekämpfen.

Es sind Lippenbekenntnnisse und eigentlich soll für sie alles so bleiben, wie es ist. Daher macht Sawsan Chebli es jetzt richtig. Um es mit den Worten des großen Fußballers Felix Magath zu sagen: „Qualität kommt von quälen.“ You go, girl!

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