Internetforen: Meinung ohne Gewähr
Das Urteil des Bundesgerichtshofes macht Internetprovider für bei ihnen veröffentlichte Inhalte verantwortlich. Gegen Hasspropaganda im Netz wird das wenig ausrichten. Ein Kommentar von Clemens Wergin
Stand:
Die andere Seite der Freiheit heißt Verantwortung. Das gilt gerade für die Pressefreiheit: Wenn etwas veröffentlicht wird, muss klar sein, wer dafür verantwortlich ist und geradestehen muss - etwa, wenn die Inhalte beleidigend sind oder einer Person oder einem Unternehmen durch falsche Berichterstattung ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. So weit die Theorie.
In der Praxis hat sich im Internet ein Freiheitsraum aufgetan, der im Zweifel auch ohne Verantwortung auskommt. Nicht um Reklame für meinen eigenen Blog zu machen, sondern um eine Erfahrung damit wiederzugeben, hier ein paar Details: Den Blog schreibe ich für Tagesspiegel Online. Ich stehe dort mit meinem Bild und meinem Namen ein für das, was ich schreibe. Gleiches gilt aber nicht für Kommentatoren, die auch zu diesem Beitrag ihre Meinung anonym abgeben können. Manche Kommentare in meinem Blog wurden allerdings so unflätig, dass ich mich gezwungen sah, jeden Fremdbeitrag vor seiner Veröffentlichung auf mögliche strafrechtlich relevante Inhalte hin zu überprüfen. Deshalb gibt es inzwischen auch einen anonym betriebenen Blog, in dem ich und andere Mitarbeiter des Tagesspiegels beschimpft werden. Es gibt wenig, was man gegen diese Form des Internet-"Stalkings" tun kann.
Die Urheber von Verleumdungen, von Hetze und Hassparolen im Netz veröffentlichen normalerweise kein Impressum mit Klarname und Adresse. Weil sie schwer zu identifizieren sind, wählen viele einen juristischen Umweg und machen Provider und Betreiber von Internetforen für die dort veröffentlichten Inhalte verantwortlich. Das ist aber nur eine Krücke: Wird ein Blog geschlossen, taucht er sofort woanders wieder auf. Zur Not zieht man sich in Länder zurück, in denen Verleumdungen nicht geahndet werden oder die kein funktionierendes Rechtssystem haben. Wer Hasspropaganda betreiben will, findet dafür immer einen Ort. Wer es clever anstellt, wird dafür dann auch nicht belangt.
Das Urteil des Bundesgerichtshofes macht Internetanbieter nun noch deutlicher für Inhalte verantwortlich, die bei ihnen veröffentlicht werden. Das hilft bei ausländischen Providern allerdings wenig - schließlich ist nichts entgrenzter als das Internet. Die Alternative wäre eine Netzensur für ganz Deutschland, wie man sie aus China kennt. Letztlich ist es eine politische Rechnung: Wiegen die Exzesse, wie gerade etwa der live gesendete Freitod eines Briten, schlimmer als der Freiheitsgewinn, der mit der Meinungsbörse Internet einhergeht?
Die Antwort fällt eindeutig aus: Der Gewinn übersteigt den Schaden bei weitem. Gerade Internetblogs sind zu einem wichtigen Korrektiv für die klassischen Medien, die so mächtige vierte Gewalt im Staat, geworden - sei es der Bildblog, der die Methoden von Europas auflagenstärkster Tageszeitung kritisert, oder Davids Medienkritik, der den Antiamerikanismus von Spiegel, Stern und anderen entlarvt.
Politische Blogs schmecken vielen aus der alten Journalistengarde nicht, weil sie befürchten, dadurch ihre Funktion als "gate keeper" der öffentlichen Meinung zu verlieren. Blogs erweitern die Meinungsvielfalt in Deutschland denn auch erheblich. Sie machen deutlich, dass es viele politische Ansichten gibt - nicht nur an den extremistischen Rändern -, die von den etablierten Medien oft nicht ausreichend abgedeckt werden. Letztlich muss man auch im Internet auf den freien Wettbewerb der Ideen vertrauen: Wer statt Argumente nur Propaganda oder Beleidigungen zu bieten hat, wird dafür keine Mehrheiten finden. ()
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