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Ein Kampf-Hubschrauber vom Typ Tiger über dem Truppenübungsplatz in Munster während der Informationslehrübung "Das Heer im Einsatz".
© Maurizio Gambarini / dpa

Debatte zur Zukunft der Bundeswehr: Militär-Einheiten kannibalisieren sich gegenseitig

Der Wehrbeauftragte des Bundestags fordert: Vollausstattung statt Mangelverwaltung. Denn diese behindert Ausbildung, Übung und Einsatz.

Mancher hat sich gewundert, dass ich als ersten Schwerpunkt meiner Arbeit nicht die schwerfällige Kasernensanierung oder die Reform des Zulagenwesens gewählt habe, sondern die militärische Ausrüstung.  „Vollausstattung“ ist das Stichwort. Abschied von der Mangelverwaltung und vom sog. „dynamischen Verfügbarkeitsmanagement“ der letzten Bundeswehrreform. Nicht 70 Prozent als Soll-Ausstattung, sondern 100 Prozent.

Ich habe das Thema „Vollausstattung“ in diesem Jahr als Arbeitsschwerpunkt gewählt, weil sich erstens gerade die sicherheitspolitische Welt verändert und weil zweitens die Attraktivität des Soldatenberufs nicht allein von sozialen Faktoren wie der Höhe der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenkasse abhängt, sondern gut zur Hälfte von der Beantwortung einer noch grundlegenderen Frage, nämlich: Findet der Dienst, den der Soldat oder die Soldatin leisten wollte, überhaupt statt? Noch einfacher gesagt: Kann er oder sie den Job machen, ja oder nein?

Ich habe ein Artilleriebataillon besucht, das von 24 planmäßigen Panzerhaubitzen 7 heil auf dem Hof stehen hatte. Davon waren 6 für die Nato-Response-Force gesperrt und die siebte diente als Reserve für die glorreichen sechs. Was macht man da? Politische Bildung? Technischen Dienst? Infanteristische Ausbildung?

Ausstattung einer Einheit ist nur durch die Kannibalisierung einer anderen möglich

Meinen ersten Besuch im neuen Amt habe ich aus guten Gründen beim Panzergrenadierbataillon 371 gemacht, dem Kern des deutschen Gefechtsverbandes für die neue „Speerspitze“ der NRF. Dort fehlten alles in allem 15.000 Dinge, um 1000 Soldaten voll auszurüsten.  All das wurde dann tatsächlich doch beschafft, aber durch Kannibalisierung dutzender anderer Verbände des Heeres und der Bundeswehr. Darauf bin ich überall immer wieder angesprochen worden. Ich finde, diese 15.000-fache Fehlanzeige sollte den Wendepunkt markieren: von der Verwaltung des Mangels hin zur Organisation der Vollausstattung.

Man könnte auch einen anderen Wendepunkt definieren. Das war die Verteidigungsausschusssitzung vor einem Jahr, in der das Ministerium erstmals einen Bericht über den Klarstand der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr vorlegen musste. Wir als Ausschuss hatten diesen Bericht angefordert. Er war extrem ernüchternd. So ein Bericht soll jetzt jährlich kommen.

Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD)
Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD)
© privat

In den anschließenden Haushaltsberatungen vor einem Jahr gab es dann – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt – einen parlamentarischen Paradigmenwechsel: Der Ausschuss forderte die Regierung mit den Stimmen der Großen Koalition auf, die 70-Prozent-Ausstattung zu überprüfen.

Inzwischen gehen, glaube ich, alle in die gleiche Richtung: Parlament, Regierung und Bundeswehr.

Die Ausrüstungslücken existieren objektiv. Sie behindern Ausbildung, Übung und Einsatz. Für die glaubwürdige Bereitschaft zur Teilnahme an der kollektiven Verteidigung in Europa genügt keine sog. „Erstausstattung“, „Anfangsausstattung“, kein 1. Los, keine routinierte Toleranz für Fehlanzeigen.

Die Bundeswehrreform muss nachgebessert werden

Deshalb muss die Bundeswehrreform 2011 nachgesteuert werden. Die Regierung sollte Lücken und Defizite identifizieren und benennen. Sie sollte dem Parlament vortragen, mit welchem finanziellen Aufwand in welchem Zeitraum die Lücken gefüllt und die Defizite behoben sein können.

Und dann wird man für die entsprechenden Haushaltsmittel werben müssen. Der vorliegende Haushaltsentwurf mit seiner mittelfristigen Finanzplanung trägt dem noch nicht Rechnung. Zwar steigt der Verteidigungskostenanteil an der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands von 1,16 Prozent dieses Jahr auf 1,17 Prozent im nächsten Jahr. Ein Plus von einem hundertstel Prozentpunkt! Immerhin.

Aber bis 2019 sinkt die BIP-Quote wieder auf 1,07 Prozent, den niedrigsten Wert seit Gründung der Bundeswehr. Wir reden hier nicht vom Nato-Ziel der 2 Prozent oder von den 3,6 Prozent der USA oder den 1,8 Prozent Frankreichs. Wir reden von 1,17 Prozent. Schon wenn diese Quote stabil bliebe, wären erste Verbesserungen möglich. Mit dauerhaft 1,2 Prozent, glaube ich, wäre die Bundeswehr im grünen Bereich. Aber möglichst nicht erst in 15 Jahren, sondern besser in vier bis fünf Jahren.

Wohlgemerkt, es geht nicht um Aufrüstung, sondern um eine aufgaben- und strukturgerechte Ausrüstung unserer Armee von 185.000 Soldatinnen und Soldaten. Die Weltlage lässt das bequeme Prinzip „Bundeswehr nach Kassenlage“ nicht mehr zu.

Mehr Debattenbeiträge zur Zukunft der Bundeswehr finden Sie auf unserem Debattenportal

Hans-Peter Bartels

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