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Bundeskanzler Friedrich Merz (r.) mit seinem Vizekanzler Lars Klingbeil

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Mindestlohn-Entscheidung steht an: Wenn es schlecht läuft, stürzt Schwarz-Rot in eine Krise

Die Spannung steigt: Am Freitag legt die Mindestlohnkommission ihre Empfehlung zur Höhe der Lohnuntergrenze vor. Die SPD will unbedingt 15 Euro. Für die Koalition könnte die Sache zum Problem werden.

Stand:

Die unabhängig agierende Mindestlohnkommission verkündet am Freitag ihre Empfehlung für einen gesetzlichen Mindestlohn in den Jahren 2026 und 2027. Die Entscheidung hat das Potenzial, Schwarz-Rot in eine Koalitionskrise zu stürzen. Was man wissen muss: der Überblick.

Warum ist die Sprengkraft so groß?

15 Euro Mindestlohn, das war eine Kernforderung der SPD im Bundestagswahlkampf 2025. Hier ist ein Herzensthema der Sozialdemokraten berührt: Es geht um die Menschen, die „das Land am Laufen halten“, wie es so oft heißt, auch um eine bessere Rente später und eine Entlastung der Sozialkassen durch gute Löhne. Viele in der SPD sagen: Entweder die Mindestlohnkommission liefert die gewünschten 15 Euro – oder die Politik muss eingreifen.

Beim Koalitionspartner Union würde die SPD damit aber auf granitharten Widerstand stoßen. Denn hier steht man eher der Perspektive der Wirtschaft nahe: Die klagt, eine so deutliche Erhöhung von derzeit 12,82 Euro auf 15 Euro wäre eine massive Belastung für die ohnehin stark unter Druck stehenden deutschen Unternehmen.

Wer hat den Koalitionsvertrag auf seiner Seite?

Die SPD betont seit der Einigung auf einen Koalitionsvertrag, dort habe man 15 Euro Mindestlohn hineinverhandelt. Dem ist aber nicht so.

Im Vertrag geht es um die Kriterien, an denen sich die Kommission orientieren wird, dann kommt die Schlussfolgerung: „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“

Erreichbar aber ist keine harte Festlegung, zumal im Satz davor explizit die Rede davon ist, dass die Kommission eine „Gesamtabwägung“ zu treffen hat. Und bei einer Gesamtabwägung ist nun einmal keines der einzelnen Kriterien alleine ausschlaggebend.

Vielleicht sind die Arbeitgeber ja mit 15 Euro einverstanden?

Damit ist nicht zu rechnen. Eins der Kommissionsmitglieder ist Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände. Der hat öffentlich deutlich gemacht, was er von den 15 Euro hält. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte er, der Zahl fehle „jede rationale Grundlage“. Er sprach von „Lohnpopulismus“ und einem „ökonomischen Himmelfahrtskommando“.

Trommeln gehört natürlich zum Geschäft, und trotzdem sind die Frontlinien klar. Die Frage ist, ob man sich über diese Frontlinien hinweg auf einen Kompromiss verständigt, mit dem dann doch beide Seiten leben können.

Sie können sicher sein, wenn er bei 14,92 Euro liegt, wird es kein Gesetz von uns im Bundestag geben – das ist dann auch in Ordnung.

Tim Klüssendorf, SPD-Generalsekretär im „Bericht aus Berlin“

Die Empfehlung wird immer für zwei Jahre ausgesprochen, gut möglich wäre eine zweistufige Empfehlung mit einem Wert für 2026 und einem höheren für 2027, der dann womöglich näher an die magische 15 herankommt.

Für die SPD ist die zentrale Frage, was bei einer eventuellen 14 hinter dem Komma stehen muss, damit sich ein Mindestlohn noch als „fast 15“ verkaufen lässt. 14,92 Euro wären auch in Ordnung, hatte beispielhaft SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf im „Bericht aus Berlin“ gesagt.

Welche Vorgeschichte macht die Arbeit der Kommission so heikel?

Die Mindestlohnkommission ist mit je drei Personen für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite besetzt. Dazu kommt als Vorsitzende Christiane Schönefeld, die keiner der beiden Seiten angehört, aber auch stimmberechtigt ist. Sie war bis 2022 Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Zwei Wissenschaftler gehören der Kommission beratend an.

Im Jahr 2022 hatte die Ampel 12 Euro Mindestlohn per Gesetz festgelegt, ohne die Kommission zu beteiligen, um ein Wahlkampfversprechen des damaligen Kanzlers Olaf Scholz (SPD) einzulösen. Bei der nächsten regulären Beratung kam es zur Revanche: Die Arbeitgeber setzten gemeinsam mit der Vorsitzenden eine niedrigere Erhöhung durch, als die Gewerkschaften für akzeptabel befanden, diese reagierten massiv verärgert. Seitdem steht die Frage im Raum, ob die Kommission überhaupt noch gemeinsam entscheiden kann.

Der grundsätzliche Wille dafür ist da, die Kommission hat sich auch eine neue Geschäftsordnung gegeben, um den Willen zur konstruktiven Zusammenarbeit zu bekräftigen. Aber der Praxistest steht eben noch aus.

Welche Szenarien sind für die Entscheidung denkbar?

Klar ist nur, dass die Kommission am Freitag an die Öffentlichkeit tritt. Denkbar ist eine Einigung. Je nachdem, welche Zahlen dann auf dem Tisch liegen, wäre die Frage, wie insbesondere die SPD reagiert.

Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.

So lautet die Festlegung im schwarz-roten Koalitionsvertrag

Denkbar ist aber auch, dass die Kommission sich nicht einigen kann und im Dissens auseinandergeht. Das wäre eine für Schwarz-Rot äußerst heikle Lage.

Nicht auszuschließen ist, dass die Vorsitzende der Kommission noch einmal mit ihrer Stimme den Ausschlag in die eine oder andere Richtung gibt. Es ist aber erklärtes Ziel gerade auch der Vorsitzenden Schönefeld, das zu verhindern. Die Kommission hat sich eigens eine neue Geschäftsordnung gegeben, um den Prozess hin zu einem gemeinsamen Votum zu stärken.

In dieser Geschäftsordnung ist als ein Kriterium eine Orientierung an 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Beschäftigten genannt. Es ist ein großer Erfolg der Gewerkschaften, dies in die Geschäftsordnung hineinverhandelt zu haben. Diese 60 Prozent werden auch in einer EU-Richtlinie als Indikator genannt, und damit käme man ungefähr auf 15 Euro, was die SPD ins Felde führt.

Diese drei sind auch dieses Mal dabei: Christiane Schönefeld, Vorsitzende der Mindestlohnkommission, steht zwischen Arbeitgebervertreter Steffen Kampeter und Gewerkschafter Stefan Körzell, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2023.

© dpa/Michael Kappeler

Allerdings ist die Festlegung auf diese 60 Prozent weder in der EU-Richtlinie selbst verbindlich, noch ist klar, welche Bindungswirkung die Richtlinie für Deutschland überhaupt hat. Zudem geht es am Ende immer um die schon erwähnte Gesamtabwägung, die laut Geschäftsordnung der Kommission zu treffen ist.

Wie könnte die Politik reagieren?

Normalerweise macht die Bundesregierung den Vorschlag der Kommission nur noch per Rechtsverordnung verbindlich. Sie muss das aber nicht, sondern sie könnte per Gesetz einen anderen Mindestlohn festlegen.

Doch wie beschrieben ist die Bereitschaft bei der Union dafür gleich null. Wenn also die Kommission sich nicht einigen kann oder einen Wert vorschlägt, mit dem die SPD nicht leben kann – dann hat Schwarz-Rot ein großes Problem.

„Ich hoffe, dass das einstimmig klappt“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Montag zur Ankündigung der Mindestlohnkommission. Er betonte die Unabhängigkeit des Gremiums. „Die Ausgangslage ist klar“, sagte Linnemann. Der Mindestlohn werde von der Kommission festgelegt, nicht von der Politik. (Mitarbeit: Felix Hackenbruch)

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