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Politik: Mit der Flucht des Karmapa Lama schwindet der Einfluss Chinas auf die Klöster in Tibet

Nach der Flucht des Karmapa, des dritthöchsten religiösen Führers Tibets, Anfang des Monats nach Indien, herrscht bei den Exil-Tibetanern Zuversicht. Pekings Plan, die tibetanischen Klöster durch das Einsetzen chinatreuer Lamas unter seine Kontrolle zu bekommen, scheint zu scheitern.

Nach der Flucht des Karmapa, des dritthöchsten religiösen Führers Tibets, Anfang des Monats nach Indien, herrscht bei den Exil-Tibetanern Zuversicht. Pekings Plan, die tibetanischen Klöster durch das Einsetzen chinatreuer Lamas unter seine Kontrolle zu bekommen, scheint zu scheitern.

Für Pekings kommunistische Führung, die den 14-jährigen Jungen bislang unter ihrer Kontrolle glaubte, ist die heimliche Ausreise ein deutlicher Rückschlag. 1992 hatten der Dalai Lama und Peking in seltener Einheit die Wiedergeburt des 17. Karmapa als rechtmäßiges Oberhaupt der Kagyüpa-Sekte anerkannt. Seitdem hatte Peking den Jungen nicht aus dem Blick gelassen. Eigens aus der Hauptstadt in das Tsurphu Kloster bei Lhasa entsandte Leibwächter sollten dafür sorgen, dass der heranwachsende Religionsführer im Sinne Pekings erzogen wurde. 1994 durfte der Junge neben Präsident Jiang Zemin an den Feiern zum Nationaltag in Peking teilnehmen. Chinas Staatsmedien lobten Ugyen Trinley Dorje, so sein bürgerlicher Name, als einen "patriotischen Lama".

Chinas Kommunisten, die seit der Flucht des Dalai Lama 1959 ins Exil um die Kontrolle im Himalajastaat ringen, hatten mit dem Jungen große Pläne: Auch wenn der Dalai Lama mit seinen 64 Jahren noch bester Gesundheit ist, plant Peking - ebenso wie die Exiltibetaner - bereits für die Zeit nach seinem Tod. Traditionell hat der Karmapa - zusammen mit dem Panchen Lama - ein Mitspracherecht bei der Suche nach der Reinkarnation des Dalai Lama. Da auch der Panchen Lama in der Hand Pekings ist, glaubten Chinas Kommunisten, die Kontrolle über die Auswahl des künftigen Dalai Lama zu haben. Der Einfluß der Exiltibetaner wäre dahin gewesen. Nun scheint sich das Blatt jedoch gewendet zu haben. Sollte der Karmapa, was sich andeutet, im indischen Dharamsala im Exil bleiben, hat Peking nicht nur eine Schachfigur im tibetanischen Machtpoker verloren, sondern einen einflußreichen Gegenspieler hinzugewonnen. Im Falle des Todes des Dalai Lama könnte der junge Karmapa die Machtlücke füllen und die Exiltibetaner als Identifikationsfigur zusammenhalten, bis ein neue Inkarnation des Dalai Lama herangewachsen ist.

Pekings Führung ist von der Flucht offensichtlich so geschockt, dass sie bislang kaum öffentlich reagiert hat. In der bisher einzigen Mitteilung der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua heißt es, der Karmapa sei in Indien, um "alte Musikinstrumente" abzuholen. Offensichtlich will Peking die Tür nicht voreilig zuschlagen. Man erwarte, sagt der chinesische Vizevorsitzende des Autonomen Gebietes Tibets, Sun Qiwen, dass der junge Lama nach Tibet zurückkehre. "Wir glauben, dass der Karmapa sein Versprechen hält."

Sieben Tage dauerte die Flucht, die der Junge zu Fuß, auf Mauleseln und in Autos zurücklegte. Die genauen Beweggründe für seine Ausreise sind noch unklar: Angeblich hatte Peking dem Karmapa verboten, seine religiösen Lehrer außerhalb Tibets zu besuchen. Gleichzeitig hätten diese auch keine Visa für Tibet erhalten.

Offensichtlich rechnet auch Peking nicht mehr wirklich mit einer Rückkehr. Zwei Tage nach Bekanntwerden der Flucht ernannten die chinesischen Behörden in Lhasa überraschend die Wiedergeburt eines weiteren Religionsführers, des Reting Lama. Der Reting, ein eher unbedeutender Lama, hatte in der Vergangenheit ebenfalls eine Mitsprache bei der Suche nach der Wiedergeburt des Dalai Lama gehabt. Das Büro des Dalai Lama in Dharamsala nannte die Ernennung des Reting unterdessen einen Schwindel. Das Ringen um die Vorherrschaft in Tibet geht in die nächste Runde.

Harald Maas

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