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Fromm und rückwärtsgewandt: Die radikalen Salafisten machen sich mit ihrem Kandidaten Hazem Abu Ismail (Foto) Hoffnung aufs Staatspräsidentenamt. Aber auch ein Sieg des Kandidaten der maßvolleren Muslimbrüder würde die Uhren zurückdrehen – mit Folgen vor allem für Ägyptens Frauen. Foto: Khaled Elfiqi/dpa

© dpa

Ägypten: Muslimbrüder greifen nach der ganzen Macht

Je näher in Ägypten der für Ende Juni gesetzte Übergang von der Militärherrschaft auf eine zivile Führung rückt, desto mehr lassten die Islamisten ihre Muskeln spielen.

Vergessen sind die heiligen Schwüre, sich im post-revolutionären Ägypten zu mäßigen, es mit dem Drang zur Macht nicht zu übertreiben. In den ersten zehn Monaten nach dem Sturz ihres Erzfeindes Hosni Mubarak schienen die straff organisierten Muslimbrüder am Nil auch Kreide gefressen zu haben. Ihre Sprecher gaben sich überlegt und moderat, die politischen Äußerungen klangen alle wie aus einem Guss. Man versprach, den Weg an die Schalthebel in Kairo in kleinen Schritten zu gehen, um das Ausland nicht zu verschrecken, Investoren nicht zu vertreiben und das eigene Land nicht zu überfordern. Doch je näher in Ägypten der für Ende Juni gesetzte Übergang von der Militärherrschaft auf eine zivile Führung rückt, desto mehr lässt die Muslimbruderschaft ihre Muskeln spielen.

Im Januar zog sie als stärkste Fraktion in das erste demokratisch gewählte Parlament Ägyptens ein und formt zusammen mit den radikalen Salafisten eine satte 70-Prozent-Mehrheit, die vor allem bei Frauen-, Ehe- und Scheidungsrecht die Uhren zurückdrehen will. Vor zwei Wochen nun drückten die Islamisten ohne viel Federlesens per Parlamentsvotum ihre Kandidatenliste für die 100-köpfige Verfassunggebende Versammlung durch und sicherten ihrem Lager ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit. Zwischendurch ließen sie dem herrschenden Militärrat SCAF ausrichten, das neue Grundgesetz werde der Armee keine privilegierte Stellung außerhalb des geltenden Rechtes mehr garantieren, und forderte die Entlassung der von den Generälen ernannten Übergangsregierung.

Am Wochenende nun schickten sie mit ihrem Vizechef Khairat al Shater einen eigenen Kandidaten ins Rennen um die Präsidentschaft, obwohl sie solche Pläne in der Vergangenheit stets abgestritten hatten. Al Shater ist ein autoritärer Patriarch mit dröhnender Stimme, der es nicht gewohnt ist, dass man ihm widerspricht. Gleichzeitig gilt er als Pragmatiker, auch wenn ihm Bekenntnisse zu Demokratie und Minderheitenrechten nur widerwillig über die Lippen kommen. Bei der Wahl am 23. Mai hat der 61-jährige Millionär und Vater von zehn Kindern die besten Chancen, Nachfolger Mubaraks auf dem Sessel des Staatschefs zu werden. Die Muslimbruderschaft hätte dann alle Schlüsselämter der Nation unter ihrer Kontrolle.

Die Nominierung löst auf allen Seiten Beunruhigung aus.

Mit al Shaters Nominierung ist der Kampf zwischen den drei Machtpolen des Landes, den Islamisten, den säkularen und zivilen Kräften sowie dem Militär, nun offen ausgebrochen. Das säkulare Lager fühlt sich an die Wand gedrückt, der Militärrat stößt dunkle Drohungen aus, bei den koptischen Christen geht die Angst um, und die Aktien machten einen Sprung in den Keller. Die USA als erste westliche Macht äußerten sich verhalten besorgt. Man werde die neuen Mächtigen an ihren Taten messen, ließ US-Außenministerin Hillary Clinton verkünden.

Doch die Muslimbrüder könnten sich stark verkalkuliert haben. „Genug ist genug“, polterte kürzlich Feldmarschall Mohammed Hossein Tantawi, Vorsitzender des Militärrats und De-facto-Staatschef, an die Adresse der Muslimbrüder. Ausdrücklich empfahl er ihnen, „sich der Lehren der Geschichte bewusst zu bleiben, um Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen“ – eine kaum verhüllte Warnung, die Armee könne notfalls auch wieder zu Gewalt und Unterdrückung greifen.

Auch Ägyptens Verfassunggebende Versammlung steckt augenblicklich in der Sackgasse. Alle 24 Vertreter der säkularen Parteien und Kopten zusammen mit den Delegierten des Obersten Gerichtshofes und der Lehrstätte Al Azhar haben ihren Boykott erklärt und dem Plenum damit die notwendige breite gesellschaftliche Legitimität entzogen. Trotzdem legten die Muslimbrüder der rein islamistischen Rumpfversammlung nun den ersten Entwurf einer neuen Verfassung vor, die Ägypten als islamischen Staat auf der Basis der Scharia festschreiben soll. Entnervt twitterte Friedensnobelpreisträger Mohamed al Baradei, der selbst nicht bei der Präsidentenwahl antritt: „Ägypter haben ihr Leben geopfert für Freiheit und Würde, nicht aber für einen militärischen oder religiösen Autoritarismus. Und schon gar nicht für die Tyrannei einer Mehrheit.“

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