
© dpa/Shireen Broszies
Nach Merz’ „Stadtbild“-Aussage: Vizekanzler Klingbeil warnt vor Spaltung durch „Wir und Die“-Rhetorik
Finanzminister Klingbeil distanziert sich von den Äußerungen des Kanzlers. Eine Petition gegen Merz sammelte bereits mehr als 120.000 Unterschriften und auch eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung wurde gestellt.
Stand:
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat sich in der Migrationsdebatte von den „Stadtbild“-Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) distanziert. „Wir müssen als Politik auch höllisch aufpassen, welche Diskussion wir anstoßen, wenn wir auf einmal wieder in ein ‚Wir‘ und ‚Die‘ unterteilen“, sagte der SPD-Co-Parteichef am Mittwoch auf dem Gewerkschaftskongress der IG BCE.
Politik müsse Brücken bauen und die Gesellschaft zusammenführen, statt sie mit Sprache zu spalten. Wörtlich fügte Klingbeil hinzu: „Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht.“
Klingbeil reagierte damit auf eine umstrittene Aussage von Merz. Der CDU-Chef hatte zuvor erklärt, dass es bei der Reduzierung der Flüchtlingszahlen zwar Erfolge gebe, aber „Probleme im Stadtbild“ blieben. Diese Äußerung hatte öffentliche Kritik ausgelöst.
Das Richtige tun reicht manchmal nicht. Man sollte auch nicht das Falsche sagen.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD)
Klingbeil griff das Motto des Gewerkschaftskongresses „Das Richtige tun“ auf und sagte: „Das Richtige tun reicht manchmal nicht. Man sollte auch nicht das Falsche sagen.“ Es gebe in manchen Innenstädten ein Sicherheitsproblem. „Das ist da, und das muss man adressieren können“, sagte Klingbeil. „Und dann muss Politik aber auch kluge Vorschläge machen, wie man das Ganze lösen kann. Zum Beispiel, indem man unserer Polizei den Rücken stärkt.“
Kritik an Merz reißt nicht ab
Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer kritisierte am Mittwoch im RBB-Inforadio den Bundeskanzler. Dieser könne Politik nicht einfach kommentieren, sondern trage selbst Verantwortung für die Gesellschaft. „Ich glaube, da hat der Kanzler schon auch die Aufgabe, seinen Worten entweder Klarheit zu verleihen oder sie mit politischen Vorschlägen zu versehen“, sagte der SPD-Politiker.
Kritik an der Äußerung von Merz gibt es aber nicht nur aus der Politik. Diakoniepräsident Rüdiger Schuch sagte, Probleme bei der Integration von Zuwanderern müssten zwar angesprochen werden. Dann müssten sie aber „mit einer sachorientierten Politik gemeinsam gelöst werden, ohne Polemik und in gegenseitigem Respekt“.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, wies im „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ darauf hin, dass in Stuttgart 60 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund hätten und friedlich miteinander lebten: „Das ist einfach die Realität.“
Petition sammelt Zehntausende Unterschriften
Eine am Dienstag gestartete Petition unter dem Titel „Wir sind die Töchter“ gegen eine weitere Äußerung von Merz erreichte bis Mittwochnachmittag mehr als 120.000 Unterschriften. Zu den Unterstützerinnen zählen den Angaben zufolge etwa die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und die Schauspielerin Marie Nasemann („Armans Geheimnis“).
„Strukturelle Gewalt gegen Frauen ist das Problem“, erklärte die Initiatorin Cesy Leonard, Gründerin der Aktionskunstgruppe „Radikale Töchter“. Diese Gewalt finde fast immer im eigenen Zuhause statt, die Täter seien „nicht irgendwelche Menschen im Stadtbild“, sondern Ehemänner, Väter oder ehemalige Partner.
Wie ein Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd) zudem bestätigte, ging eine Strafanzeige wegen möglicher Volksverhetzung gegen Merz ein. Diese wird laut Staatsanwaltschaft nun geprüft. Allein der Eingang einer Anzeige bedeute nicht, dass ermittelt wird. Die Hamburger Rechtsanwältin Tugba Sezer hatte zuvor auf Instagram eine fünfseitige Muster-Strafanzeige zur Verfügung gestellt. (Reuters/epd)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: