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Politik: Nebenjob Schnüffeln

Von Malte Lehming, Washington Zum Beispiel Tony Oulai. Um fünf Uhr morgens wurde seine Zellentür geöffnet.

Von Malte Lehming, Washington

Zum Beispiel Tony Oulai. Um fünf Uhr morgens wurde seine Zellentür geöffnet. An den Händen gefesselt wurde der junge, schwarze Katholik aus der Elfenbeinküste in den Keller geführt. Dort wurde sein Blutdruck kontrolliert. Dann hieß es: Packen! Wenig später wurde Oulai im Morgengrauen von seinem Gefängnis in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia zum Internationalen Flughafen Dulles gefahren, in eine Maschine gesetzt und in ein Bundesgefängnis nach Oklahoma City überführt. Das war am 22. März. Bis dahin hatte Oulai bereits sechs Monate lang als mutmaßlicher Terrorist im Knast gesessen.

Drei Tage nach dem 11. September war Oulai auf einem Flughafen in Florida festgenommen worden. Bei einer Gepäckkontrolle hatten die Sicherheitsbeamten Fluganleitungen sowie handschriftliche Aufzeichnungen gefunden, die sie fälschlicherweise für Arabisch hielten. Das reichte als Verdacht. Er lebe seit 1988 in den Vereinigten Staaten und habe dort eine private Piloten-Ausbildung absolviert, erklärte der Verhaftete. Doch das nützte ihm nichts. Obwohl längst nachgewiesen wurde, dass der Mann keine Verbindungen zu den Al-Qaida-Attentätern hatte, begann für ihn eine Odyssee durch Amerikas Justizsystem, die noch nicht beendet ist. Wegen falscher Angaben, Verstoßes gegen die Visumsbestimmungen und anderer Delikte sitzt Oulai bis heute ein.

Wie ihm geht es Hunderten. Ihre genaue Zahl kennt keiner. Ihre n auch nicht. Die meisten von ihnen sind Muslime und stammen aus arabischen Staaten. Mehr als 600 Ausländer wurden nach dem 11. September in geheimen Verhören vernommen. Vor wenigen Tagen erst hat das Justizministerium diese Zahl bekannt gegeben. Selbst Familienangehörige werden nicht informiert. Bei keinem einzigen Inhaftierten hat sich je der Verdacht erhärtet, er sei in die Terroranschläge verstrickt gewesen.

Im Kampf gegen den Terror leiden die Bürgerrechte, in erster Linie die der Ausländer. Amerika kennt weder Skrupel noch Kosten. Zum zweiten Mal seit dem 11. September hat der Kongress jetzt ein Gesetz verabschiedet, das die Geheimdienste und das Militär stärken soll. Weitere 28,9 Milliarden Dollar sollen dafür bereitgestellt werden. Hinzu kommen jene 37,4 Milliarden Dollar, die das neue Ministerium für nationale Sicherheit künftig pro Jahr verschlingen wird. Mit 170 000 Mitarbeitern wird es eine der größten Behörden der USA sein. Und damit nicht genug: Präsident George W. Bush plant unbeirrt weiter: eine schärfere Kontrolle der je nach Bundesstaat recht unterschiedlichen Führerscheinbestimmungen etwa oder einen Einsatz der Streitkräfte auch innerhalb des Landes.

Vieles davon mag sogar vernünftig sein, umstritten allerdings ist das neue, flächendeckende Spitzel-System. Werden demnächst Postboten, Busfahrer, Müllmänner und die Mitarbeiter der Gas-, Wasser- und Stromunternehmen die Haushalte ausspionieren? Noch ist nichts endgültig entschieden. Doch im August startet in zehn Städten das Pilot-Projekt. Für das „Citizen Corps“ – „ein Bürgerheer von Schnüfflern“, schimpfen Verfassungsrechtler – hat Bush 560 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Eine der fünf Dimensionen des „Citizen Corps“ kürzt sich „Tips“ ab. Das steht für „Terrorism Information and Prevention System“. Deren Mitglieder sollen den Behörden alles melden, was ihnen verdächtig vorkommt. Besonders geeignet sind dafür Personen, die leicht Zugang zu Privatwohnungen haben. Die Regierung sagt, die Aufregung sei übertrieben. Es gehe nicht darum, die Bürger zu zivilen Spionen heranzuziehen, sondern lediglich um ihre erhöhte Aufmerksamkeit. Wo die Grenze verläuft, sagt die Regierung nicht.

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