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Mindestens zehn Tote: Neue Gewalt erschüttert Kairo

Mit brutaler Gewalt gehen die Soldaten in Kairo gegen die Demonstranten vor. Die ägyptische Hauptstadt erlebte am Wochenende Szenen wie aus einem Bürgerkrieg. Mindestens zehn Menschen starben, Hunderte sind verletzt.

Rauchwolken stehen über dem Tahrir-Platz. Eine schreiende junge Frau wird an ihren Haaren über den Asphalt geschleift. Unerbittlich prügeln Soldaten mit langen Knüppeln auf am Boden liegende Demonstranten ein, bis die sich nicht mehr rühren. Die Zelte der jungen Aktivisten liegen zerfetzt auf dem Rasen, aus umliegenden Gebäuden schlagen meterhoch die Flammen, immer wieder sind Schüsse zu hören. Wütend antwortet die Menge mit einem Hagel aus Steinen und Molotow-Cocktails. Auf einem der Videofilme ist ein Soldat zu sehen, der mit seiner Pistole in die Menge zielt – die ägyptische Hauptstadt erlebte am Wochenende erneut Szenen wie aus einem Bürgerkrieg.

Mindestens zehn Menschen haben seit Freitag in den mit extremer Brutalität geführten Auseinandersetzungen ihr Leben verloren, über 500 wurden verletzt. Unter den Toten ist auch ein prominenter Geistlicher der Al Azhar Universität, der von einer Kugel in die Brust getroffen wurde. „Nieder mit der Militärherrschaft“ und „Das Volk verlangt die Exekution des Feldmarschalls“ skandierten hunderte von Trauergästen auf der Beerdigung des 52-Jährigen. Auch die politischen Parteien reagierten mit scharfer Kritik und verlangten, alle festgenommenen Demonstranten müssten sofort freigelassen werden. „Schämt ihr euch nicht?“ twitterte Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei und nannte das Vorgehen der Soldaten „widerlich“. Die Muslimbruderschaft forderte den Chef des Obersten Militärrates, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, auf, sich „rasch und klar für die verübten Verbrechen zu entschuldigen“.

Außenminister Guido Westerwelle appellierte an Polizei und Armee, die Bürgerrechte zu achten. „Alle Seiten müssen der Gewalt abschwören, das Schicksal Ägyptens muss sich an der Wahlurne und durch demokratische Reformen entscheiden“, hieß es in einer Erklärung des Berliner Außenministeriums. Ähnlich äußerten sich auch die amerikanische und französische Regierung.

Am Sonntag beruhigte sich die Lage etwas, nachdem Militäreinheiten die Qasr El-Aini Straße, die vom Tahrir-Platz zum Parlament führt, mit Betonbarrieren blockiert hatten. Das Zentrum Kairos ist teilweise abgeriegelt, in Seitenstraßen stehen gepanzerte Fahrzeuge und Truppentransporter. Das Gebäude der Ägyptischen Geographischen Gesellschaft, die eine Sammlung historischer Bücher und Manuskripte von unschätzbarem Wert besaß, ist nur noch eine rauchende Ruine.

Bei ähnlich blutigen Straßenschlachten waren zuletzt Ende November 42 Menschen gestorben und über 1100 verletzt worden. Die neuerlichen Ausschreitungen hatten sich am Freitag entzündet, als Armeeeinheiten versuchten, eine Sitzblockade vor dem Gebäude des Premierministers sowie die Zeltlager auf dem Tahrir-Platz aufzulösen. Dort campierten seit vier Wochen mehrere hundert Aktivisten. Sie fordern die Abdankung des Obersten Militärrates, der seit dem Sturz von Hosni Mubarak am Nil die Macht ausübt.

Erst vergangene Woche hatte Ägypten die zweite von insgesamt drei Etappen seiner ersten demokratischen Parlamentswahl absolviert. Erneut standen Millionen von Menschen friedlich vor den Wahllokalen an. Mitte Januar soll das frei gewählte ägyptische Parlament dann zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Die neuerlichen Bilder aus Kairo jedoch von Toten und Verletzten, von brennenden Häusern und verwüsteten Straßen werfen einen dunklen Schatten auf diese demokratische Premiere.

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