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Politik: Nichts wissen – alles glauben

Von Caroline Fetscher

Wenn es im Olymp einen Gott des absurden Humors gibt, dann hat er in diesen Wochen das Sagen. Keine Angst. Weder existiert heute ein Olymp, noch gab es dort eine solche Gottheit. Aber besehen wir das gegenwärtige Weltgeschehen doch probehalber aus dieser Perspektive. Was wird geboten? Hoch im Norden eines kleinen skandinavischen Landes druckt ein Provinzblatt ein Dutzend Karikaturen des Propheten Mohammed, legendärer Stifter einer der Weltreligionen. Wenige Monate später lassen große Gruppen von Anhängern des Propheten auf südlichen Kontinenten dänische Flaggen nähen, einzig zu dem Zweck, die rot-weißen Stoffbahnen sogleich öffentlich abzufackeln. Das geschieht aus Protest gegen eben die spöttischen Bilder, die das dänische Blättchen Tausende Kilometer weit entfernt abgebildet hatte. Zwar sollten diese Bilder gar nicht eine Religion verunglimpfen, sondern deren Pervertierung durch Ideologen. So jedoch kam der Gedanke in den Gefilden der Flaggenverbrenner nicht an. Wie also zirkulierte die Fama? Und was lehrt uns der Fall?

Ermöglicht wurde das gesamte, groteske Szenario durch die elektronische Globalisierung des Transports von Bildern wie Texten um den Erdball, in Sekundenschnelle. Wo die dann zusätzlich aufgeladen werden mit Ideologie, Propaganda, Paranoia, Kalkül, also einer satten Prise Desinformation, können Bilderströme und Textflüsse heute einen Einfluss entfalten, der in menschlichen Gesellschaften bislang undenkbar war. Schon scheint im Fall der Karikaturen eine Weltkrise um Symbole heraufbeschworen zu sein. Sie beweist: Wie rasend rasch das weltweite Umherzischen von Datenströmen per Internet und Massenmedien auch sein mag, das Deuten der Daten ist und bleibt Menschenwerk und Kopfsache. Es braucht Training. Je stärker das aufgeklärte Deuten den Daten hinterherhinkt, desto weiter eröffnen globale Cyber-Tore neben Chancen auch massive Gefahren der Manipulation.

Wo große Gruppen ins Irrationale abdriften, weil sie sich von einem echten oder eingebildeten Trauma bedroht sehen, erkennen Sozialwissenschaftler, was sie narzisstische Gruppenregression nennen. Das heißt: Mit ihrer Opferhaltung gleitet die Gruppe zurück auf frühe Muster des Verhaltens, sie verliert an Realitätssinn und spiegelt sich nur noch in sich selbst. Im 20. Jahrhundert war ein solcher Vorgang bei ganzen Nationen zu beobachten, an erster Stelle in Hitlerdeutschland.

Als Konsequenz aus der Shoah wurden die Vereinten Nationen gegründet, ein Staatenbund, der sich der Globalisierung von Menschenrechten, Aufklärung und Ethik widmen soll. Ende des 20. Jahrhunderts entstand parallel die anarchische Cyber-Globalisierung, als erster, weltumspannender, elektronischer Stammtisch. Noch nie konnten so viele Daten so schnell verbreitet werden. Doch der globale Stammtisch streut die Daten ohne deren Deutung. Nicht allein die Botschaften der Menschenrechtler und Laizisten, sondern auch die Propaganda ihrer Gegner suchen sich per Internet, SMS und Massenmedien Startpisten und Landebahnen. Während auf globaler Ebene demokratische Moderne und prädemokratische Vormoderne aufeinander prallen, haben fast alle Akteure Zugriff auf dieselben technologischen Mittel. Im Karikaturenstreit verhallen Rufe nach Mäßigung um so mehr, je untrainierter eine Gesellschaft in der kritischen Differenzierung von Nachrichten, Bildern und Texten ist – so in Afghanistan, wo noch bis vor kurzem atavistische Bilderstürmer am Ruder waren.

Was also lehrt uns der Fall? Auf jeden Fall erst einmal das: Westliche Finanzhilfe von Palästina bis Asien darf nie die Köpfe der Leute missachten. Geld und Technologie reichen nicht, wo es auf den Inhalt ankommt. Beim Stiften von Schulbüchern oder Aufbau von Radiosendern etwa muss die Frage lauten: Was wird gelesen und was wird gesendet? Jedes Projekt der „Hilfe zur Selbsthilfe“ muss, so bewusst wie robust, demokratische Chancen zum Selbstdenken eröffnen.

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