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Auf der Anklagebank. Hinter einer Kapuze verbirgt Carsten S. sein Gesicht. Neben ihm sitzt sein Anwalt Jacob Hösl. Hinter ihnen kommt der Angeklagte Holger G. in den Saal. Foto: Tobias Hase/dpa

© dpa

Politik: Noch ein Geständnis

Im NSU-Prozess belastet Carsten S. sich weiter selbst – und macht Andeutungen zu einem möglichen Anschlag in Nürnberg.

Von Frank Jansen

Tränen fließen, die Stimme stockt. Carsten S. wischt sich mit einem Taschentuch das Gesicht ab, manche Worte sind kaum zu verstehen, doch er redet weiter. Er will „reinen Tisch machen“, wie er zu Beginn der Befragung am Dienstagvormittag angekündigt hat. Und was der 33-jährige Angeklagte im NSU-Prozess am Oberlandesgericht in München dann sagt, lässt die Zuhörer im Saal verstummen. Carsten S. weitet sein Geständnis, das er in der vergangenen Woche vorgetragen hat, deutlich aus. Er belastet sich weiter selbst, auch den Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Er schildert womöglich sogar einen bislang noch nicht bekannten Anschlag des NSU. Und der Angeklagte entlastet, so scheint es, punktuell Beate Zschäpe.

Bei einem konspirativen Treffen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Chemnitz hätten die beiden „spektakulär“ erzählt, „dass die in Nürnberg in einem Laden eine Taschenlampe hingestellt haben“, in einem Lebensmittelgeschäft. Als Zschäpe bei dem Treffen hinzugekommen sei, hätten Mundlos und Böhnhardt „pscht gesagt, damit die das nicht mitbekommt“. Abends sei ihm der Gedanke gekommen, sagt Carsten S., Mundlos und Böhnhardt hätten in die Taschenlampe „Sprengstoff eingebaut oder so was“. Dann habe er das „weggedrückt“ und sich gesagt, „das war jetzt eine Ausnahme“.

Dass der NSU zwischen dem Gang in den Untergrund im Januar des Jahres 1998 und dem Treffen in Chemnitz, vermutlich Anfang 2000, einen Anschlag mit Sprengstoff in Nürnberg verübt haben oder dies zumindest versucht haben könnte, ist neu. In der Anklage findet sich dazu nichts. Tatsächlich explodierte im Juni 1999 in einer Gaststätte in Nürnberg eine Bombe, die wie eine Taschenlampe aussah. Die Pilsbar gehörte einem türkischstämmigen Wirt. Bundesanwalt Harald Diemer sagte, er werde den neuen Hinweisen nachgehen. Bislang ist nur bekannt, dass der NSU in Nürnberg drei Türken erschoss. Die dabei eingesetzte Waffe, eine Ceska 83, hatte Carsten S. in Chemnitz Mundlos und Böhnhardt übergeben.

Sollte es stimmen, dass Zschäpe bei dem Treffen in Chemnitz nach dem Willen von Mundlos und Böhnhardt nichts von der „Taschenlampe in Nürnberg“ erfahren durfte, hätte Carsten S. mit seiner Aussage zumindest punktuell die Hauptangeklagte entlastet. Die Verteidiger Zschäpes haben schon mehrfach angedeutet, es sei nicht auszuschließen, dass Zschäpe von den Morden, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen, die Mundlos und Böhnhardt begangen haben, nichts wusste. Die Anklage hält Zschäpe bei allen Verbrechen für die Mittäterin.

Belastet hat Carsten S. erneut den mitangeklagten ehemaligen NPD-Funktionär Wohlleben. Nach einem konspirativen Telefonat mit den untergetauchten Mundlos und Böhnhardt habe Wohlleben „gelacht und gesagt, die haben jemanden angeschossen“. Welche Tat damit gemeint sein könnte, sagt S. nicht. Es geht möglicherweise um den ersten Raubüberfall des NSU. Im Dezember 1998 hatten Mundlos und Böhnhardt gezielt auf einen Jugendlichen gefeuert, der die beiden bei der Flucht aus einem Supermarkt in Chemnitz verfolgte. Bei dem Überfall hatten die beiden Männer 30 000 D-Mark erbeutet.

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