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Nazi-Rocker im NSU-Prozess: Der Angeklagte André E. liest im September 2014 auf der Anklagebank im Gerichtssaal im Oberlandesgericht München im Szeneblatt „White Supremacy“.

© Peter Kneffel/picture alliance

NSU-Prozess: Angeklagter André E. geht zum Angriff über

Im NSU-Prozess ändert der Angeklagte André E. die Taktik – sein neuer Anwalt gilt als konfliktfreudig. Seine bisherigen Verteidiger wirkten meistens passiv.

Von Frank Jansen

Der Angeklagte André E. ist kein angenehmer Mensch. Im NSU-Prozess gibt er den Nazi-Rocker, tätowiert bis zu Hals und Fingerknochen, schwarze Lederweste mit Karabinerschließen, breitbeiniges Gehabe. André E. bringt gerne Motorradzeitschriften mit ins Oberlandesgericht München, während der Verhandlung wird geblättert. Als die Richter die unter der Szenekleidung verborgenen Tattoos zeigen ließen, mit einem Beamer an zwei Wände im Saal A 101 projiziert, war André E. amüsiert. Auch bei dem Bild, das ihn in einem Strandkorb zeigt, mit nackter Wampe, über die sich der Schriftzug „Die Jew Die“ erstreckt, „Stirb Jude Stirb“. Außerdem ist in Zwickau ein Verfahren anhängig wegen des Verdachts auf Körperverletzung. André E. soll im Mai 2016, da lief der NSU-Prozess schon drei Jahre, einen jungen Mann verprügelt haben.

Und nun gefährdet der 38-jährige Neonazi den Fortgang der Plädoyers im größten Prozess zu rechtsextremem Terror seit der Wiedervereinigung. Dass die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe diesen Dienstag ihren Vortrag beginnen können, erscheint fraglich. André E. hat einen konfliktfreudigen dritten Anwalt engagiert. Daniel Sprafke, kein Neonazi, stieg vergangene Woche gleich mit Befangenheitsanträgen ein.

Der Mann aus Karlsruhe will nicht hinnehmen, dass sich der Vorsitzende Richter Manfred Götzl weigert, ihn dem Angeklagten als weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen und Zeit zu gewähren, sich in den Prozess einzuarbeiten. Richter Götzl meint, André E. werde in dem bald fünf Jahre dauernden Prozess von seinen zwei Pflichtverteidigern „sachgerecht“ vertreten. Doch das ist fraglich. Die beiden Anwälte blieben die meiste Zeit passiv.

Jahrelang unterstützt

So unangenehm André E. auch wirkt, erscheint sein Versuch legitim, in der Endphase des Prozesses mit einem zusätzlichen Verteidiger eine weniger harte Strafe zu erreichen. Die Bundesanwaltschaft hat im September 2017 zwölf Jahre Haft für den mutmaßlichen Komplizen des NSU gefordert.

Aus Sicht der Behörde hat André E. die Terrorzelle jahrelang unterstützt. Bis hin zur Beihilfe bei einem rassistischen Mordversuch. In der Anklage steht, E. habe das Wohnmobil gemietet, mit dem die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Dezember 2000 nach Köln fuhren, um in einem iranischen Lebensmittelgeschäft eine Bombe zu platzieren. Als der in einer Christstollendose versteckte Sprengsatz im Januar 2001 explodierte, erlitt die Tochter des Einzelhändlers schwere Verletzungen.

Da E. eine hohe Strafe droht, steckte ihn das Gericht auf Antrag der Bundesanwaltschaft wieder in Untersuchungshaft. Nach seiner Festnahme im November 2011 hatte er nur knapp sieben Monate hinter Gittern verbracht. Er kam frei, da sich einer der Tatvorwürfe nicht erhärten ließ. So stünde E. nun eine lange Zeit im Gefängnis bevor, sollten die Richter ihn so hart verurteilen, wie es die Bundesanwaltschaft verlangt. Die bisherige U-Haft – sie würde auf die Strafdauer angerechnet – summiert sich nur auf etwas mehr als ein Jahr.

Dass André E. seinen Berliner Altverteidigern Herbert Hedrich und Michael Kaiser nicht zutraut, ihn vor langer Haft zu bewahren, erscheint logisch. Die Anwälte haben ihren Mandanten veranlasst, durchgängig zu schweigen. André E. ist der einzige Angeklagte, dessen Stimme im NSU-Prozess noch nicht zu hören war. Vermutlich hoffte er, die in der Anklage aufgelisteten und im Prozess verhandelten Indizien würden für ein hartes Urteil nicht reichen. Dass die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft forderte, hat E. und die meisten anderen Prozessteilnehmer überrascht. Der Angeklagte will nun offenbar versuchen, über Beweisanträge des neuen Anwalts Zweifel an seiner Schuld zu säen. Vielleicht beginnt E. auch zu reden. Jedenfalls ist im Prozess weiter kein Ende in Sicht. Eine quälende Perspektive für viele Prozessteilnehmer und -beobachter. Aber die Rechte des Angeklagten André E. wiegen schwerer.

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