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Am Fundort der Leiche des 2001 verschwundenen und getöteten Mädchens Peggy sind DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden worden.

© David Ebener/dpa

NSU-Terrorist und der Fall Peggy: Uwe Böhnhardt und das tote Mädchen

Eine DNA-Spur bei den sterblichen Überresten von Peggy stammt von Uwe Böhnhardt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an der Neunjährigen und dem NSU-Terroristen? Eine Analyse.

Von Frank Jansen

Habe Uwe Böhnhardt etwas nicht gepasst, „dann hat er zugeschlagen, rumgebrüllt“, berichtet der Zeuge Thomas B. – ein abgeschlaffter Hüne, alkoholkrank, und in den 1990er Jahren mit Böhnhardt befreundet. Sie gehörten im Jenaer Plattenbauviertel Lobeda zu einer Jugendgang, die Autos knackte. B. erinnert sich an die wilde Zeit: „Er war ein ziemlich lustiger Typ“, „aber er war gefährlich in seiner Art, wenn er wirklich sauer geworden ist“. Böhnhardt war offenbar der Stratege der Clique. „Der Uwe hat nichts gemacht, ohne es vorher vernünftig geplant zu haben“, sagt Thomas B. Dennoch wurde ihm Böhnhardt unheimlich, auch weil er als rechter Skinhead auftrat. Thomas B. sagt, er habe sich dann von Böhnhardt „ziemlich weit abgesondert“.

Jähzornig, gewalttätig, fanatisch, aber auch eiskalt und berechnend – so hat nicht nur Thomas B. im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München den Terroristen und Mörder Uwe Böhnhardt geschildert. Beate Zschäpe, seine Ex-Geliebte, die mit ihm und Uwe Mundlos im Januar 1998 den Gang in den Untergrund antrat, ließ über ihren Anwalt mitteilen, sie sei von Böhnhardt geschlagen worden, „wenn ihm verbal die Argumente ausgingen“.

Zschäpe könnte möglicherweise noch mehr über Böhnhardt berichten, als sie bislang tat und als aus den Ermittlungsakten bekannt ist. Da ist Böhnhardt der Autoknacker, der Schläger, der Waffenfreak, der Neonazi, der Terrorist, der Mörder, der mit Mundlos zehn Menschen erschossen, zwei Sprengstoffanschläge verübt und 15 Raubüberfälle begangen hat.

Jetzt kommt noch ein entsetzlicher Verdacht hinzu: Böhnhardt könnte auch der Mörder der kleinen Peggy K. gewesen sein, die im Mai 2001 im oberfränkischen Lichtenberg verschwand und deren sterbliche Überreste ein Pilzsammler vor drei Monaten fand. In einem Wald in Thüringen, keine 20 Kilometer von Lichtenberg entfernt.

Ein kleiner Stofffetzen

Bei der Untersuchung von „Spurenträgern“ vom Fundort der Leiche des Kindes sei DNA festgestellt worden, „die Uwe Böhnhardt zuzuordnen ist“, haben die Staatsanwaltschaft Bayreuth und das Polizeipräsidium Oberfranken am Donnerstagabend mitgeteilt. Der Spurenträger ist ein kleiner Stofffetzen, der direkt neben den Knochen des Mädchens lag.

Zwei der spektakulärsten Kriminalfälle seit der Wiedervereinigung kommen da, vielleicht, zusammen: der Mord an der neunjährigen Peggy – ein Justizskandal, in dem zehn Jahre ein geistig behinderter Mann als vermeintlicher Mörder unschuldig im Gefängnis saß – und der NSU-Terrorkomplex. Über die Person Uwe Böhnhardt könnten beide miteinander verbunden sein.

Es müsse nun einen Abgleich der DNA von Böhnhardt und der weiteren Mitglieder des NSU mit allen ungeklärten Fällen geben, bei denen Kinder sowie Menschen mit Migrationshintergrund zu Tode gekommen seien, fordert Katharina König, Obfrau der Linkspartei im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags. Und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) verkündete am Freitag, dass die Akten zu einem weiteren Fall, dem ungeklärten Tod des neunjährigen Bernd B. im Jahr 1993 in Jena, „komplett neu geprüft“ würden. Ein mutmaßlicher Helfer des NSU hatte schon 2012 dem Bundeskriminalamt gesagt, Böhnhardt könnten den Jungen getötet haben. Zu beweisen war das bislang nicht.

"In einer Art Exzess"

Auch im Fall Peggy argumentieren die Behörden vorsichtig: „Wir wissen noch nicht, wie der Spurenträger zum Fundort der Leiche kam“, sagt Hubert Potzel, Chef der Bayreuther Staatsanwaltschaft. In Sicherheitskreisen ist zu hören, es sei kaum anzunehmen, dass der NSU „als Vereinigung mit dem Tod von Peggy zu tun hat“. Denkbar sei, dass Böhnhardt als Einzeltäter das Mädchen tötete, „in einer Art Exzess“. Auch Nebenkläger aus dem NSU-Prozess trauen Böhnhardt eine solche Tat zu. „Das würde zu Böhnhardts Charakter passen“, sagt der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer, der Angehörige des von Böhnhardt und Mundlos in Dortmund erschossenen Türken Mehmet Kubasik vertritt.

Böhnhardt wurde 1977 in Jena geboren und ist dort in Jena in einer normalen Familie aufgewachsen. Die Mutter ist eine dominant auftretende Lehrerin, der Vater ein eher zurückhaltender Ingenieur. 1988 stirbt der ältere Bruder bei einem bis heute nicht geklärten Unfall. Freunde legen den Leichnam vor der Haustür ab und verschwinden – der elfjährige Uwe ist traumatisiert.

Als die DDR untergeht, schließt er sich, wie viele Jugendliche, der rechten Szene an. Böhnhardt entgleitet den Eltern, es gibt Probleme in der Schule, er verroht. 1993 wird er wegen Diebstählen und Körperverletzung zu vier Monaten Haft verurteilt. Im Gefängnis vergewaltigt ihn ein Mithäftling. Als Böhnhardt wieder frei ist, sagt er seinen Freunden, er werde sich nie wieder einsperren lassen. Im selben Jahr lernt er Mundlos und Zschäpe kennen. 1995 werden Böhnhardt und Zschäpe ein Paar, ihre Freundschaft zu Mundlos bleibt bestehen.

Böhnhardts zweites Gesicht

Die beiden Männer treten in SA-artigen Uniformen auf, es häufen sich rechtsextreme Straftaten. Als die Polizei im Januar 1998 in einer von Zschäpe gemieteten Garage halbfertige Rohrbomben entdeckt, taucht die Frau mit Böhnhardt und Mundlos ab. Fast 14 Jahre gelingt es den drei Rechtsextremen, mit falschen Namen in Chemnitz und in Zwickau das Leben einer unauffälligen Wohngemeinschaft zu führen – die, so sieht es die Bundesanwaltschaft, zur Terrorgruppe NSU mutiert. Im November 2011 fliegt sie auf.

Nach außen hin präsentieren sich Böhnhardt als „Gerry“, Mundlos als „Max“ und Zschäpe als „Liese“. Zwischen den Verbrechen fahren die drei zum Sommerurlaub nach Fehmarn. Reisebekannte berichten später im Prozess konsterniert von freundlichen Menschen, die sich untereinander gut verstanden.

Uwe Böhnhardts zweites Gesicht sah offenbar so gut niemand. Deshalb könnte vermutlich nur Zschäpe sagen, ob er etwas mit dem Tod von Peggy zu tun hatte. Und warum auf einem der Computer, den Zschäpe benutzt haben soll, vielleicht auch Böhnhardt, Kinderpornografie aus dem Internet heruntergeladen war.

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