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Die Zahl der Hackerangriffe auf deutsche Unternehmen nahm im vergangenen Jahr deutlich zu.

© Getty Images/E+

Plötzlich lahmgelegt: Deutsche Unternehmen zunehmend im Visier von Hackerangriffen

Ausländische Hackergruppen und Geheimdienste greifen gezielt deutsche Unternehmen an und verursachen Schäden in Milliardenhöhe. Auch die Firma Kreisel Industries aus Sachsen war betroffen.

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An einem Nachmittag im Februar 2024 klingelte im Büro von Wolfram Kreisel, Geschäftsführer eines mittelständischen Herstellers von Schüttgutanlagen im sächsischen Krauschwitz, plötzlich das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: das Landeskriminalamt. Es gebe Erkenntnisse, dass das Unternehmen von einer international agierenden Hackergruppe ausgespäht werde. Gefahr sei im Verzug. Kreisel solle sofort versuchen, überall wo möglich die Netzwerkverbindung zu kappen.

Doch es war zu spät: Als am nächsten Morgen der erste Mitarbeiter sein Büro betrat, fand er ein Erpresserschreiben ausgedruckt im eigentlich schon stillgelegten Faxgerät. Alle Daten des Unternehmens seien verschlüsselt, man gebe sie nur gegen ein hohes Lösegeld wieder frei, stand da auf Englisch. Nichts ging mehr: keine E-Mails, kein Telefon, keine Buchhaltung. Produktion und Auslieferung standen still, Kundenaufträge konnten nicht bedient werden.

„Das war ein großer Schock“, sagt Wolfram Kreisel. „Man geht davon aus, dass die großen Global Player gehackt werden. Aber doch nicht wir!“ Heute weiß er: „Es kann jeden treffen.“

Fast 300 Milliarden Euro Schaden in einem Jahr

Der Angriff auf das Unternehmen in Krauschwitz ist kein Einzelfall: Wie aus dem kürzlich vom Digitalverband Bitkom und dem Verfassungsschutz vorgestellten Wirtschaftsschutzbericht hervorgeht, für den über 1000 Unternehmen befragt wurden, haben Datendiebstahl, Industriespionage und Sabotage in den vergangenen zwölf Monaten deutlich zugenommen.

87 Prozent der befragten Führungskräfte sind sicher, dass ihr Unternehmen in dieser Zeit mindestens einen Angriff erlebt hat. Weitere zehn Prozent vermuten dies. Bezifferbar ist ein Schaden von rund 289 Milliarden Euro. Auch Angriffe gegen öffentliche Einrichtungen nehmen zu. Am Wochenende war etwa der Hauptstadtflughafen BER betroffen.

Hybride Kriegsführung durch fremde Staaten ist keine theoretische Gefahr, sie findet heute jeden Tag hundertfach in Deutschland statt.

Ralf Wintergerst, Bitkom-Präsident, sieht eine sich deutlich verschärfende Bedrohungslage.

Wie im Fall von Kreisel Industries stammen die Täter meist aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität und wollen Geld erpressen. Besonders Banden aus Osteuropa, Russland und China sind im deutschen Cyberraum aktiv. Doch auch Angriffe durch ausländische Nachrichtendienste nehmen zu.

„Hybride Kriegsführung durch fremde Staaten ist keine theoretische Gefahr, sie findet heute jeden Tag hundertfach in Deutschland statt“, sagte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst bei der Präsentation der Zahlen. Auch der designierte Verfassungsschutzchef Sinan Selen betonte, Deutschland sei seit Jahren, mit steigender Intensität, im Zielspektrum russischer Akteure. Der Verfassungsschutz stärke seine Abwehrbereitschaft und Handlungsfähigkeit „kontinuierlich und konsequent“.

Der Angriff trieb Kreisel Industries in die Insolvenz

Für Wolfram Kreisel bedeutete der Angriff einen schweren wirtschaftlichen Schaden. Auf dem Erpresserschreiben war eine Adresse im Darknet angegeben, wo über das Lösegeld für die Entschlüsselung der Daten verhandelt werden könne. Auf Anraten des LKA ließ er sich darauf aber nicht ein, baute die digitale Infrastruktur seines Unternehmens mühsam wieder neu auf. Verzögerungen und Ausfälle im operativen Geschäft waren die Folge.

„Das war für uns eine existenzbedrohende Krise, wohl die größte in 113 Jahren Firmengeschichte“, sagt Kreisel. Das Unternehmen musste Insolvenz in Eigenverantwortung beantragen und sich deutlich verschlanken. Zwei Sparten wurden verkauft, zwei der fünf Standorte geschlossen.

Wolfram Kreisel sieht die Unternehmen in Deutschland in einem ständigen Wettlauf mit den Hackern. „Wir müssen es schaffen, unsere Abwehrsysteme so aufzurüsten, dass wir ihnen immer einen Schritt voraus sind“, sagt er. „Womit wir es hier zu tun haben, ist moderne Piraterie.“ (mit AFP, dpa)

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