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Maybrit Illner

© ZDF/Christian Schoppe

Rentendebatte bei „Maybrit Illner“: „Wir können die Rentenversicherung nur entlasten, wenn wir Leuten etwas wegnehmen“

Probleme ja, Lösungen nein: Bei „Maybrit Illner“ diskutieren der SPD-Generalsekretär und der Chef der Jungen Union erfolglos über die Rente. Als einziger Ausweg erscheint Gerhard Schröder.

Stand:

Dass in deutschen Talkshows endlich über die wirklich drängenden Probleme der Sozialversicherungssysteme diskutiert wird, ist löblich. Die Sendungen werden dadurch jedoch keineswegs gehaltvoller, wie die Talkrunde von Maybrit Illner am Donnerstagabend beweist. Die ZDF-Sendung in der TV-Kritik.

Die Gäste

  • Tim Klüssendorf, SPD-Generalsekretär
  • Johannes Winkel (CDU), Bundestagsabgeordneter und Chef der Jungen Union
  • Katja Kipping, Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbandes
  • Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des ifo-Instituts
  • Julia Friedrichs, Journalistin

Endlich weg vom Bürgergeld

Wer lernen will, wie rasant sich der Wind in der Talkshowlandschaft drehen kann, braucht lediglich am Donnerstagabend den Fernseher einzuschalten. In einem Einspieler bedauert eine dramatische Stimme aus dem Off, was bloß aus dem Wirtschaftswunderland Deutschland geworden sei: Stagnation, Stellenabbau und steigende Sozialausgaben.

„Ein Wunder muss her. Stattdessen: endlose Bürgergelddebatten um minimale Einsparungen“, kritisiert die Stimme des Sprechers. Doch wer hat es denn monatelang so aussehen lassen, als gäbe es kaum ein wichtigeres Thema? Dass Illner und ihre Redaktion nun, ohne mit der Wimper zu zucken, ebenjene end- und sinnlosen Bürgergelddebatten beklagen, die sie selbst beharrlich geführt haben, ist schlichtweg dreist.

Unser Rentensystem ist halt so eine Art Kettenbrief.

Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des ifo-Instituts

Nun steht also die Rente auf der Tagesordnung, das große Sorgenkind. Schnell wird klar, was den meisten bereits bekannt sein dürfte: Sicher ist, dass die Rente nicht sicher ist. Oder wie Journalistin Julia Friedrichs es formuliert: „Die Wahrheit ist, dass wir ein Riesenproblem haben.“ „Fatal und fahrlässig“ sei es, die Lösung des Problems in die Zukunft zu schieben.

Friedrichs übernimmt in der Runde die Rolle der Mahnerin, ebenso wie der Ökonom Clemens Fuest. Weshalb die Situation der Rente so prekär ist, erklärt Letzterer mit einem simplen Vergleich: „Unser Rentensystem ist halt so eine Art Kettenbrief.“ Wenn zu wenige Junge auf zu viele Alte kämen, „dann gibt es nichts zu verteilen“. Die Demografie schlägt eben gnadenlos zu.

Die Probleme sind klar, die Lösungen nicht

Und was nun? Zwar zieren sich die beiden Politiker in der Runde nicht, Lösungsvorschläge zu präsentieren. Die sind allerdings so abgedroschen, dass sie auf heftige Kritik stoßen.

SPD-Generalsekretär Klüssendorf beharrt darauf, dass das Rentenniveau nicht gekürzt werden darf, sondern stabil bleiben muss. Es sind jedoch zwei Paar Schuhe, ob die Rentenleistungen gekürzt oder die Steigerung der Rentensätze verlangsamt wird, wie Klüssendorf von verschiedenen Seiten zu hören bekommt.

„Die Renten werden künftig nicht wie die Löhne steigen können, Punkt“, so sieht es Ökonom Fuest. Ob man das als Kürzung versteht, wie es die SPD gerne tut, liegt im Auge des Betrachters.

Von Klüssendorfs Vorschlag, Beamte und Selbstständige ins gesetzliche Rentensystem zu integrieren, hält Fuest ebenfalls nicht viel: „Wir können die Rentenversicherung nur entlasten, wenn wir Leuten etwas wegnehmen.“ Die Gruppe der Einzahler zu erweitern, helfe auf Dauer nichts, weil sich daraus langfristig zusätzliche Rentenansprüche ergäben.

Der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, kommt auf den ersten Blick ein wenig besser weg. Er kann sich als Anwalt der jungen Leute inszenieren und auf dem sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor beharren. Allerdings fliegt ihm irgendwann die Mütterrente um die Ohren.

Das teure CSU-Wunschprojekt kann Winkel nur leidlich verteidigen. „Warum haben Sie denn da nicht Rabatz gemacht?“, hakt Journalistin Friedrichs nach. „Warum haben Sie Markus Söder da nicht ins Lenkrad gegriffen?“, stichelt sie. Er sei zwar persönlich kein Befürworter der Mütterrente, sagt Winkel, aber der Koalitionsvertrag stehe nun mal. Eine überzeugende Antwort klingt anders.

Agenda-Nostalgie

Wenn ausgerechnet der als Putin-Freund in Misskredit geratene Altkanzler Gerhard Schröder plötzlich wieder als Vorbild taugt, ist schnell klar, worum es geht: die ach so großartige Agenda 2010. „Ich hoffe, dass Friedrich Merz und Lars Klingbeil sich irgendwann mal zusammensetzen, so wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer das Anfang der Nullerjahre gemacht haben“, sagt Winkel.

Er habe sich kürzlich die Aufnahme der Agenda-Rede von Schröder nochmals angehört, „und ich finde, das könnte man eins zu eins auf heute übertragen“, so Winkel. „Wirklich mutig“ nennt er die Reformen von damals: „So einen Moment bräuchte Deutschland jetzt.“

Es ist die Verheißung des Autoritären, die bei solcher Agenda-Nostalgie stets mitschwingt. Nichts wünscht man sich offenbar sehnlicher, als einen Mann (!) an der Spitze, der auf den Tisch haut und Debatten beendet, statt sie auszutragen. Basta als Politikersatz.

Wenn einem demokratisch gewählten Volksvertreter wie Winkel (und vielen anderen) wirklich nichts Besseres einfällt, als die Verantwortung zur politischen Lösungsfindung nach oben abzugeben und auf einen Alleinentscheider zu hoffen, zeugt das – gelinde gesagt – nicht gerade von politischem Gestaltungswillen.

„Halten Sie sowas für möglich: Zwei Männer in einem Raum, und es gibt so ein Super-Paper für die Zukunft?“, möchte Illner auch von Klüssendorf wissen. „Ich weiß nicht, ob zwei Männer in einem Raum jetzt immer so die beste Lösung ergeben“, bemerkt der SPD-Generalsekretär etwas belustigt.

Einen „Agenda-Moment“ hält er jedoch ebenfalls für wünschenswert: „Nicht das kopieren, aber den Mut zu haben, wirklich nicht im kleinsten Kompromiss zu bleiben.“ Das Klein-Klein der Tagespolitik endlich hinter sich zu lassen, die großen Linien zu sehen – es ist ein verständlicher Wunsch. Aber beide, Klüssendorf wie Winkel, wissen allzu genau, dass ihr Job ein anderer ist.

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