Politik: Rot-Grün lehnt Druck auf Fischer ab
Streit um Verteidigungsstrategie / Flüchtlingsdienst fordert Debatte über Ursachen der Migration
Berlin - Die Regierungskoalition kommt in der Frage, wann Joschka Fischer vor dem Visa-Untersuchungsausschuss aussagen soll, nicht auf einen Nenner. Die Fraktionsgeschäftsführer von SPD und Grünen, Wilhelm Schmidt und Volker Beck, lehnten am Mittwoch Druck auf Fischer ab. Vor allem Wahlkämpfer beider Parteien aus Nordrhein-Westfalen hatten auf eine rasche Vernehmung des Außenministers gedrängt.
In den Fraktionen von SPD und Grünen war am Dienstag über den Ausgang der Schleswig-Holstein-Wahl diskutiert worden – wieder kam die Rede auf die Visa-Affäre. Letztere habe „schon zu den Stimmenverlusten beigetragen“, zitierte Schmidt Abgeordnete aus Schleswig-Holstein. In der Grünen-Fraktion wurde Kritik an der Verteidigungsstrategie der Grünen laut. Das eigene Aufklärungsinteresse sei im Wahlkampf nicht ausreichend deutlich geworden, hieß es. Wann Fischer nun aber vor dem Ausschuss aussagen soll, blieb nach Angaben von Sitzungsteilnehmern strittig. Vertreter der Fraktionsführung äußerten die Sorge, eine schlecht vorbereitete Aussage Fischers berge die Gefahr von Falschaussagen. Beck sagte, er wäre „froh, wenn der Termin früh ist“. Allerdings müsse der Ausschuss erst seine Beweisaufnahme abschließen. Der Grünen-Abgeordnete Winfried Hermann sagte: „Man kommt nicht weiter, wenn man sich einigelt, wegduckt und verdrängt. Das Beschimpfen der Opposition hilft nicht weiter.“
Der „Stern“ berichtete, der Visamissbrauch in Osteuropa sei schon im März 2000 Thema im Bundeskabinett gewesen – damals habe Innenminister Otto Schily (SPD) interveniert. Regierungssprecher Thomas Steg widersprach dieser Darstellung. NRW-Innenminister Fritz Behrens erklärte, der Volmer-Erlass („Im Zweifel für die Reisefreiheit“) habe auf die Kriminalitätsstatistik des Landes keine Auswirkungen gehabt. Die Landesregierung hat auch schon 2001 unwürdige Zustände auf dem „Arbeiterstrich“ in Köln thematisiert. Schon damals verlangte Düsseldorf von der Kölner Ausländerbehörde eine strengere Prüfung der Bonität der „Einlader“ – in Köln und anderswo hatten Schleuser vor allem Sozialhilfeempfänger gewonnen, die zum Beispiel Ukrainer einluden.
Neben Experten des BKA will der Visa-Ausschuss an diesem Donnerstag den Abteilungsleiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) für Terrorismus und organisierte Kriminalität, Hans-Josef Beth, vernehmen. Pater Jörg Alt vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst veröffentlichte mit Blick auf diese Anhörung eine als „VS-Vertraulich“ gekennzeichnete Analyse des BND vom Januar 2001. Darin werden einerseits polizeiliche Aktivitäten gegen Schleuserkriminalität gefordert. Andererseits heißt es aber auch: „Die Verstärkung der Grenzsicherung kann nicht die einzige Antwort auf den wachsenden Migrationsdruck sein.“ Zuwanderung müsse „über die bloße Abschottung hinaus“ gesteuert werden. Alt kritisierte die gegenwärtige Debatte, in der mehr über Symptome diskutiert und gestritten werde als über die Ursachen des illegalen Migrationsgeschehens.(mit SB, jz)