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Bodo Ramelow

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Rot-Rot-Grün in Thüringen ohne Mehrheit: Warum Bodo Ramelow eine Minderheitsregierung anstrebt

Koalition oder Tolerierung? Irgendwie muss die Linkspartei in Thüringen mit der CDU zusammenarbeiten. Strategen sehen Vorteile für die Minderheitsregierung.

Von Matthias Meisner

Über Minderheitsregierungen spricht Bodo Ramelow schon seit längerer Zeit positiv. Auch wenn er im Wahlkampf stets für Rot-Rot-Grün kämpfte, das Thema war für ihn – anders als die in Deutschland vorherrschende Meinung – „kein Schreckgespenst“. Im Deutschlandfunk-Interview sagte Ramelow im September, in nordischen Ländern sei eine solche Konstellation „ganz normal“.

Es sei zwar „anstrengend, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren“, erklärte der Linken-Politiker zuvor dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Aber der damit verbundene „sanfte Zwang zum Kompromiss“ könne auch bereichernd wirken. „Ein Blick über die Landesgrenzen, etwa nach Dänemark, ist da hilfreich.“

Die Volksparteien verlören an Anziehung, der Abstand zwischen den Parteien werde geringer. „Die Minderheitsregierung wird auch bei uns früher oder später kommen, da ist es allemal besser, sich schon jetzt auf neue Regierungsformate einzustellen und für eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz zu werben.“

Wenn also ein Linker das Land zusammenhalten kann, dann nur aufgrund seiner hohen Beliebtheit, seines nachweislichen Erfolges und seiner skandalfreien Arbeit.

schreibt NutzerIn A.v.Lepsius

„Eine interessante Anregung“, sagt Ramelow

Und jetzt, wo die Mehrheit für Ramelows Linksbündnis aus Linken, SPD und Grünen dahin ist? „Eine interessante Anregung, die sie mir mitgeben“, sagt Ramelow am Montag vor der Bundespressekonferenz auf die Frage eines Journalisten nach dem Modell. Mehr nicht. Aber: „Rot-Rot-Grün hat einen Arbeitsauftrag.“ Und, dass er anstrebt, sich „zügig“ im Erfurter Landtag als Regierungschef bestätigen zu lassen.

Im Klartext: Es scheint, als ob Thüringen nach der ersten linksgeführten Landesregierung, die vor fünf Jahren ins Amt kam, nun ein weiteres demokratisches Experiment erleben könnte.

Die Diskussionen in der Linken wie auch bei SPD und Grünen haben längst begonnen. Auch wenn die Linken-Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow der Form halber auf die bevorstehenden Beratungen der Parteigremien am Montagabend verweist und sich zu dem Projekt zunächst nicht äußern will. „Die Lage ist komplex und nicht einfach“, sagt sie am Montagmittag nach Gesprächen im Parteivorstand der Linken. Dass man mit einem solchen Experiment „Neuland“ betrete, die Basis mitnehmen müsse. Und erst mit SPD und Grünen reden wolle, was an diesem Mittwoch geschehen soll.

Andere preschen längst vor: In der der Analyse der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Wahlausgang in Thüringen wird eine klare Empfehlung ausgesprochen. Autor Horst Kahrs, früher Leiter der Strategieabteilung im Karl-Liebknecht-Haus, der Linken-Parteizentrale, schreibt: „Mit der Wahl in Thüringen wird endgültig klar, dass Kenia-Koalitionen keine ausreichende Antwort auf die Umbrüche im Parteiensystem sind und über neue Konstellationen nachgedacht werden muss.“

Nach schwieriger Regierungsbildung – den Regierungsauftrag sieht er eindeutig bei Ramelow – stehe eine „Konstellation bevor, die es so oder so noch nicht gegeben hat“, heißt es in dem sogenannten „Wahlnachtbericht“, der traditionell auch Grundlage für die Diskussion in den Parteigremien ist.

Vorteile gegenüber Dunkelrot-Schwarz

Eine Minderheitsregierung hat aus der Sicht von Kahrs klare Vorteile gegenüber einem formalen dunkelrot-schwarzen Regierungsbündnis: „In der Auseinandersetzung mit der AfD wären Minderheitsregierungen gegenüber lagerübergreifenden Mehrheitsregierungen das probatere Mittel: Sie würden die Unterschiede zwischen den Parteien links von der AfD erkennbarer machen und die demokratische Streitkultur beleben können.“

Nur mit den AfD-Stimmen könnte eine solche Regierung gestürzt werden. Das könnte das Experiment stabilisieren. Zentraler Prüfstein einer Regierung sei immer die Verabschiedung eines Haushaltes, „hier könnte sich dann der demokratische Konsens gegen die AfD manifestieren“.

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Was die Frage des Landeshaushalts angeht: Hier hat Ramelow vorgesorgt. Der Etat für 2020 ist bereits verabschiedet. Und laut Landesverfassung kann der Ministerpräsident mit seinem Kabinett im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gewählt ist. Im Artikel 75 der Verfassung heißt es: „Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen.“ Eine Frist wird nicht genannt.

SPD-Chef Tiefensee offen für neue Konstellation

Dass der Gedanke einer Minderheitsregierung auch Ramelows bisherigen Koalitionspartnern nicht fremd ist, hatte sich wenige Tage vor der Wahl in Erfurt gezeigt. Auf Einladung der „taz“ diskutierten Spitzenpolitiker aus verschiedenen Landtagsparteien – auch CDU-Landeschef Mike Mohring und die Linken-Landesvorsitzende waren dabei.

SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee machte dort einen bemerkenswerten Vorschlag. Pragmatische Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten wie in seiner Zeit als Leipziger Oberbürgermeister ließen sich zwar nicht 1:1 auf einen Landtag übertragen, sagte er. Aber er signalisierte, dass er weg möchte vom konfrontativen Koalitions-Oppositions-Denken.

„Eine wie auch immer aussehende Koalition könne sich auf zehn bis 15 Kernprojekte verständigen, die wie der Haushalt mit Mehrheit durchgebracht werden müssen“, zitierte die Zeitung den Sozialdemokraten. Über weitere Fragen und Vorhaben könne frei entschieden werden.

Überlegungen wie die von Kahrs und Tiefensee sind keine Einzelmeinung in der bisherigen Regierungskoalition. Am Wahlabend sagte Ramelows Staatskanzlei-Chef Benjamin-Immanuel Hoff, einer der wichtigsten Vertrauten des Ministerpräsidenten, Rot-Rot-Grün sei seit 2014 ein Experiment gewesen, die CDU in den vergangenen fünf Jahren immer eingebunden worden. „Wir werden das Experiment auf einem anderen Niveau weiterführen.“

Eine Koalition mit wechselnden Mehrheiten, die von Fall zu Fall auf eine Unterstützung der CDU angewiesen wäre? „Ja, natürlich kann das eine Variante sein“, erläuterte Hoff dem Tagesspiegel. So werde in Kanada regiert, in Skandinavien, „warum soll das nicht gehen?“

CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring am Montag vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.
CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring am Montag vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

© Michael Kappeler/AFP

Ähnlich wie für Kahrs ist es auch aus Sicht von Hoff die eindeutig bessere Variante im Vergleich zu einer Koalition Linke-CDU. Denn: „Die Menschen haben großes Interesse daran, dass Parteien unterscheidbar sind.“ An einer formalen Koalition könnten weder die CDU noch die Linke ein Interesse haben.

Auch Hoffs Kabinettskollege Helmut Holter sieht das so, linker Bildungsminister. „Ich erinnere mich an 1998, als in Mecklenburg-Vorpommern Unvorstellbares Realität wurde“, sagt er dem Tagesspiegel in Anspielung auf die erste rot-rote Landesregierung. „Damals wurden allerdings die Parteien langfristig auf die SPD/PDS-Koalition vorbereitet. Eine Minderheitsregierung würde die parlamentarische Demokratie stärken.“

Und noch eine Stimme, die in den strategischen Debatten der Linkspartei eine wichtige Rolle spielt, meldete sich am Montag zu Wort. Tom Strohschneider, der ehemalige Chefredakteur des „Neuen Deutschlands“. Eine Minderheitsregierung oder wechselnde Mehrheiten würden das Parlament nicht schwächer, sondern stärker machen, schreibt Strohschneider im „Freitag“. Und: „Offene Abstimmungen abseits von koalitionärer Disziplin politisieren die Auseinandersetzung, heben den Inhalt vor die bloße Machtlogik.“ Das Labor Thüringen könnte im guten Sinne eines bleiben, so der Ex-ND-Chef.

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Für Ramelows am Sonntag gescheiterten Herausforderer, CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring, könnte es ein Ausweg aus einem Dilemma sein. Eine formale Regierungszusammenarbeit mit der Linken will das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin partout nicht, sie ist laut Bundesparteitagsbeschluss ebenso ausgeschlossen wie eine Zusammenarbeit mit der AfD. Auch Mohring selbst hatte solchen Gedankenspielen vor der Wahl stets eine Absage erteilt.

Nun sagt er, dass mit dem Resultat vom Sonntag „niemand gerechnet“ habe: „Wir müssen das Wahlergebnis akzeptieren und gemeinsam überlegen, wie wir damit umgehen.“ Das Land müsse gestaltet und dürfe nicht nur verwaltet werden. Ein Konzept dafür habe die CDU nicht in der Schublade. Ein klares Nein zu einer Minderheitsregierung ist das nicht.
Mohring erklärt zur Frage der Regierungsbildung: „Dazu müssen wir in Ruhe miteinander reden.“ Gespräche zwischen Ramelow und und dem CDU-Spitzenkandidaten soll es schon in den nächsten Tagen geben. Und im MDR versichert Mohring, dass danach in der thüringischen CDU unabbhängig von Berlin entschieden werde.  

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