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Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller, muss aufhören mit Retro-Politik.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Politische Prinzipienlosigkeit: Rot-rot-grün muss Probleme mit mehr Überzeugung angehen

Die Berliner Politik krankt an ihrer Prinzipienlosigkeit. Die Bundespolitik ist nicht viel besser. Es wird viel laviert und zu wenig gestritten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Die Berliner Politik läuft derzeit im Rückwärtsgang. Man sieht es an drei großen Vorhaben. Die rot-rot-grüne Koalition braucht dafür ihre ganze Kraft - und diese Politik wird viel Geld kosten. Gemeint sind der Rückkauf tausender Wohnungen, der Mietendeckel und die von der SPD betriebene Wieder-Verbeamtung der Lehrer.

Die drei Polit-Themen werden so entschieden begründet wie vor ein paar Jahren die gegenteilige Politik. Die Entscheider von heute vergessen gern, dass ihre Vorgänger für ihre Entscheidungen gute Gründe hatten. "Berlin ist in der gleichen Situation wie jemand, der seine Schulden nicht bezahlen kann, sich aber trotzdem von seinem zu groß gewordenen Haus nicht trennen mag": Das sagte vor mehr als siebzehn Jahren der Mann, der sich später vieles vorwerfen lassen musste, aber nicht, dass er den Berlinern jemals ihre Situation schöngeredet hätte.

Thilo Sarrazin, damals frisch berufener Finanzsenator, angetreten, um den Etat der pleitebedrohten Hauptstadt in ein Gleichgewicht von Ausgaben und Einnahmen zu bringen. In den Folgenjahren verkaufte das Land Berlin mehrere Wohnungsbaugesellschaften, die Landesbank, die Wasserbetriebe. Sarrazin und Wowereit rangen dem Öffentlichen Dienst einen "Solidarpakt" ab - und 2007/2008 war der Landesetat (abgesehen von den rund 60 Milliarden Euro Schulden) erstmals wieder im Plus.

Mit dem Berlin-Boom kam die Spendierfreude der Politiker zurück

Der Berlin-Boom zeichnete sich ab - und mit ihm kam die Spendierfreude der Politiker zurück. Für 1,2 Milliarden Euro wurden 2012/13die Wasserbetriebe zurückgekauft. Der Boom brachte Steuereinnahmen, geringere Arbeitslosigkeit - und Wohnungsnot. Seitdem werden Wohnungen zurückgekauft und ein Mietendeckel gebastelt. So bitter die Lage auf dem Wohnungsmarkt für viele sein mag: Man darf gespannt sein, wie gut bei einem fest montierten Mietendeckel landeseigene Wohnungen in Ordnung gehalten werden können. Sicher wird der Mietendeckel die Gerichte und größere Mengen von Anwälten auskömmlich beschäftigen, während die wackeren Berliner Steuerzahler sich fragen mögen, warum nicht mal Millionäre für ihre Kinder Kita-Gebühren oder BVG-Schülertickets bezahlen müssen. Immerhin - Millionärskinder können so nicht diskriminiert werden.

Warum ist Politik in Berlin so inkonsequent? Man mag den Rückkauf der Wasserbetriebe für die Korrektur einer falschen Entscheidung halten - für andere Entscheidungen gilt das nicht. Wohnungsnot behebt man durch Bauen, schwierige soziale Verhältnisse lindert man nicht dadurch, dass man wohlhabende Eltern genauso beschenkt wie arme.

Die Koalition will nun den Gipfel der Inkonsequenz erklimmen

Nun will die Berliner Koalition gemeinsam den Gipfel der Inkonsequenz erklimmen und die Lehrer wieder verbeamtet. Noch so ein Bespiel dafür, dass man sich mit ehrliche, womöglich auch harter Politik nicht unbeliebt machen muss. Aus guten Gründen, allen voran dem notorisch hohen Krankenstand unter verbeamteten Lehrern. Seit fünfzehn Jahren kreist die Politik um das Thema. Es waren fünfzehn Jahre, in denen eine engagierte Bildungspolitik hätte angehen können, was Lehrer und Eltern am Berliner Schulbetrieb kritisieren. Das beginnt bei den Gebäuden und endet nicht an Brennpunktschulen. Unmengen von Vergleichsstudien besagen: In anderen Ländern lernen Schüler leichter, lieber und mehr, weil ein Lehrer nicht für 30, sondern für 15 Schüler zuständig ist. Weil Schulpsychologen und Sozialarbeiter in ausreichender Zahl vorhanden sind. Weil Schulen so ausgestattet sind, dass sich Schüler nicht fühlen müssen wie Anstaltsinsassen. Und Berlin? Will wieder verbeamten und serviert Nudeln mit Tomatenketchup, für umsonst.

Müller betreibt Retro-Politik - genau wie Merkel

Das ist Retro-Politik. Die Tendenz dazu kann man auch in der Bundespolitik erkennen. Die Kanzlerin orientiert sich an einem diffusen Mainstream. Willkommenskultur? Die ist heute umstritten, also lässt sie den Innenminister die Asyl- und Abschiebe-Regelungen verschärfen. Der Unterschied zwischen Angela Merkel und Michael Müller liegt eher in der Verpackung der Retro-Politik. Was man bei beiden (und nicht bloß bei den beiden) vermisst, sind offen gezeigte Überzeugungen, für die sie streiten. So entsteht der Eindruck, dass eine Politik der demokratischen Mitte sei das Gleiche wie Lavieren. Wowereit war anders. Gerhard Schröder auch. Deren Probleme war nicht kleiner. Erinnert sei nur an die katastrophale Berliner Haushalts-Lage und an fünf Millionen Arbeitslose - vor Schröders Hartz-Reformen.

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