zum Hauptinhalt
Dampfende Schornsteine und Kühltürme in Wesseling, Nordrhein-Westfalen.

© dpa

Sachverständigen-Studie zu CO2-Bepreisung: Vor sozialen Risiken bei Klimaschutzmaßnahmen wird gewarnt

Das System, das CO2-Ausstoß verteuert, wird allgemein akzeptiert. Was zu tun ist, damit das nicht zu Lasten niedriger und mittlerer Einkommen geht. Ein Gastbeitrag.

Veronika Grimm ist Mitglied des Sachverständigenrat Verbraucherschutz (SVRV) und Mitglied im Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“). Christian Groß ist Mitarbeiter im wissenschaftlichen Stab des SVRV. Gert G. Wagner ist Mitglied im SVRV und im Sozialbeirat der Bundesregierung. Die Übergabe der Studie kann von 12 Uhr bis 13.30 Uhr im Livestream auf bmuv.de/livestream verfolgt werden.

An diesem Montag übergibt der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) dem Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz eine Studie zur fairen Ausgestaltung der CO2-Bepreisung. Die Studie zeigt: Bei richtiger Ausgestaltung nützt sie den Verbraucher*innen und dem Klimaschutz. Neun von zehn Erwachsenen in Deutschland geben in einer repräsentativen Befragung an, umweltbewusst zu konsumieren. Aber wie groß ihr eigener CO2-Fußabdruck, also der durch ihren Konsum verursachte CO2-Ausstoß, tatsächlich ist, ist den Allermeisten unbekannt – und rund ein Sechstel möchte ihn ausdrücklich nicht erfahren.

Dabei besteht ein immenser Handlungsdruck beim Klimaschutz – schließlich gehört Deutschland, pro Kopf betrachtet, weltweit zu den größten Emittenten von CO2 und liegt in etwa gleichauf mit China. Wenn es gelingt, die Emissionen durch den Umstieg auf klimafreundlichen Konsum zu reduzieren, dann kann dies eine Vorbildfunktion für andere Regionen der Welt haben.

Das Leitinstrument der Klimapolitik muss fair sein

Klar ist: Die Verantwortung für den Klimaschutz auf jede und jeden Einzelnen abzuwälzen, wird wenig bringen. Das wird aus der Studie des Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) deutlich. Vielmehr sollte der Staat die CO2-Bepreisung als Leitinstrument der deutschen Klimapolitik weiterentwickeln und fair ausgestalten. Damit ließen sich klimafreundliche Entscheidungen im Sinne der Verbraucher*innen wesentlich erleichtern, denn dann würde ein Blick auf das Preisschild eines Produkts genügen.

[Lesen Sie auch: Armut in Deutschland: „Wir können nicht jedes fünfte Kind abschreiben“ (T+)]

Grundgedanke der CO2-Bepreisung ist, dass Unternehmen für ihren Ausstoß von CO2-Emissionen zahlen, wofür es schon heute unterschiedliche Emissionshandelssysteme gibt. Um die durch die Emissionsbepreisung entstehenden Kosten zu vermeiden, werden Unternehmen versuchen, ihre Produktionsprozesse klimaschonender zu gestalten. Folge: Die Auswahl an emissionsarmen Produkten wird größer und für die Verbraucher*innen zunehmend attraktiver, weil sie aufgrund der geringeren CO2-Kosten günstiger angeboten werden können als ihre fossilen Alternativen.

Klimaschädliche Produkte werden teurer

Allerdings steht die Politik vor großen Herausforderungen, denn es gibt seit jeher Vorbehalte gegen die CO2-Bepreisung. Insbesondere wird – je nach deren Ausgestaltung zurecht – befürchtet, dass am Ende doch die Verbraucher*innen mit geringem und mittlerem Einkommen finanziell überlastet werden, was unfair wäre und die Akzeptanz und somit die politische Umsetzbarkeit gefährden könnte. Denn richtig ist auch: Klimaschädliche Produkte werden durch die CO2-Bepreisung teurer.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

In Deutschland wie der EU läuft derzeit daher eine Debatte über die Verwendung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Weite Teile der Wissenschaft sprechen sich für eine umfangreiche Rückverteilung von Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bevölkerung aus. Im Einklang damit findet sich im Koalitionsvertrag ein möglicher Rückverteilungsmechanismus unter dem Stichwort „Klimageld“. So könnten durch die CO2-Bepreisung entstehende finanzielle Belastungen gezielt abgemildert oder sogar für Bezieher*innen geringer und mittlerer Einkommen vermieden werden.

[Lesen Sie Tagesspiegel Interaktiv: Wie wird die Klimabilanz von Lebensmitteln berechnet?]

Bei einer CO2-Bepreisung ganz ohne Rückverteilung würde gelten: Menschen mit unteren und mittleren Einkommen zahlen zwar in Absolutbeträgen weniger für CO2 (da sie weniger konsumieren) als Menschen mit hohen Einkommen – sind im Verhältnis zu ihrem Einkommen aber finanziell stärker belastet. Besonders stark belastet sind diejenigen, die in einem unsanierten Haus mit großer zu beheizender Wohnfläche wohnen und weite Wege mit dem Auto zurücklegen müssen.

Mit Blick auf die Akzeptanz der CO2-Bepreisung ist eine glaubwürdige und transparente Rückverteilung von herausragender Bedeutung: Nur wenn die CO2-Bepreisung von den Menschen nicht als zusätzliche Steuer, sondern als kluger Lenkungsmechanismus wahrgenommen wird, werden sie das Instrument unterstützen. Dies dürfte insbesondere für Menschen in unteren und mittleren Einkommensgruppen gelten, denen es bereits jetzt schwerfällt, weitere Belastungen zu tragen.

Untere Einkommensgruppen haben geringe CO2-Fußabdrücke

Eine Rückverteilung der Einnahmen in Form einer pro-Kopf-Pauschale wäre eine naheliegende Möglichkeit. Aufgrund ihres niedrigen CO2-Fußabdrucks würden untere und ein Teil der mittleren Einkommensgruppen im Mittel entlastet, nur die höheren Einkommensgruppen stünden netto finanziell etwas schlechter da als vorher – allerdings in durchaus zumutbarem Umfang.

Die Befragung des SVRV unterstreicht zudem, dass Haushalte im oberen Einkommensbereich deutlich mehr Möglichkeiten und finanzielle Spielräume haben, um ihren CO2-Fußabdruck durch gezielte Investitionen, zum Beispiel in eine emissionsneutrale Heizanlage, zu senken und so der zunehmenden CO2-Bepreisung schneller auszuweichen.

Hausbesitzer können neue Heizungsanlagen einbauen.
Hausbesitzer können neue Heizungsanlagen einbauen.

© dpa-tmn

In verschiedenen Szenarien zeigt der SVRV daher auf, wie man durch eine Rückverteilung insbesondere an untere Einkommensgruppen, die Netto-Entlastung dieser Verbraucher*innen nicht nur im Durchschnitt, sondern auch in fast allen Einzelfällen erreichen könnte. Man könnte beispielsweise die Erstattung der Einkommenssteuer unterwerfen, um somit niedrigere Einkommensgruppen stärker zu entlasten.

Darüber hinaus gilt: Wenn man den eigenen CO2-Ausstoß dann auch noch aktiv reduziert, ließe sich die eigene Netto-Entlastung gezielt erhöhen. Deswegen sollten frühzeitig Möglichkeiten geschaffen werden, um die Kosten der CO2-Bepreisung durch individuelle Verhaltens- und Konsumänderungen zu vermeiden, zum Beispiel durch den Ausbau des ÖPNV.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Eine weitere für den SVRV durchgeführte aktuelle Online-Befragung bei deutschen Verbraucher*innen zeigt: Auch nach dem Angriff auf die Ukraine und trotz der aktuellen Preissteigerungen bei fossilen Energieträgern steht noch etwa die Hälfte der Befragten einer CO2-Bepreisung aufgeschlossen gegenüber.

Um effektiven Klimaschutz in Deutschland und Europa sicherzustellen, sollte die Politik daher nun alles daransetzen, die CO2-Bepreisung in Verbindung mit einem glaubhaften, transparenten und nachhaltigen Rückverteilungsmechanismus zu verankern und proaktiv zu kommunizieren. Es gibt gute Argumente dafür, dass geringere Einkommen bei der Rückverteilung stärker berücksichtigt werden sollten. Wichtig ist: Es muss insbesondere für diese Gruppe glaubwürdig sein, dass die Rückverteilung tatsächlich auch bei ihnen ankommt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false